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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr
Autoren: Robert Menasse
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Schwebe gewesen, weil König dafür eine Sondersubvention vom Land wollte. Dann stand fest: Komprechts wird dieses Museum erhalten. Die Arisierung, das Schicksal der Zwangsarbeiter, die ganze Geschichte des Steinbruchs wird in diesem Museum selbstverständlich dokumentiert werden. Wozu sie auch noch literarisieren? Wozu einen billigen Skandal entfachen durch das Aufwärmen alter Hüte, so König, als er ihm kurz von seiner Idee erzählt hatte. Womöglich würden sich die Komprechtser im Theaterverein sogar weigern, in diesem Stück mitzuspielen, auch das hatte König angedeutet: Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir da mitspielen. Eine sinnlose Auseinandersetzung, sollen sich die Komprechtser im Museum mit diesem Kapitel auseinandersetzen, mit historischen Fakten, dort wird man nicht sagen können, das sei nur Literatur, mit der er provozieren habe wollen.
    Er schob das begonnene Stück zur Seite – wegen dem er wohl nie von der Polizei gefragt worden wäre: Woher haben Sie das gewußt? Wer hat den Mord und Totschlag, von dem Sie da schreiben, geplant? Wer war beteiligt? Wer war eingeweiht?
    Die Vorarbeiten für das Museum machten ihm viel Arbeit, dennoch begann Trisko ein neues Stück zu schreiben, ein zeitgenössisches Stück. Die Geschichte arbeitete er für das Museum auf, als Autor wollte er sich nun mit seiner Gegenwart auseinandersetzen. Das Stück hieß »Gründerzeit«, das verwies nicht nur auf die aktuelle Aufbruchsstimmung, die Wende, die neue Zeit in Komprechts, der er mit seinem Stück ein Denkmal setzen wollte, ja, dieses Stück nun sollte ein »Denkmal« werden – im Titel »Gründerzeit« steckte auch das Wort Grün drinnen, und das sollte die Pointe sein: Der Sieg der Vernunft, des ökologischen Bewußtseins. Das Ringen von alter und neuer Zeit in einer Umbruchsituation, notierte Trisko in seinem Konzept, auf der einen Seite: Modernisierung, Euphorie, Dynamik; auf der anderen Seite: Ängste, Aufleben archaischer Mythen und überlebter Ideologien; als sich aber herausstellt, daß das Konzept vom sanften Tourismus funktioniert, verlieren die Menschen ihre Ängste, überlebte Ideologien sterben endgültig ab, der Aberglaube zerbricht an der aufgeklärten Praxis, und Komprechts steht am Ende des dritten Akts als Umweltmustergemeinde da, der es gelingt, vernünftige Traditionen und altes Wissen mit den Anforderungen des Fortschritts glücklich zu versöhnen.
    Täglich ging Trisko am frühen Abend in den »Hirschen«, hörte den Gesprächen und Diskussionen zu, die dort geführt wurden, merkte sich Sätze, Tonfälle, Redeweisen, die er dann zu Hause, auf und ab gehend, jeden Satz laut vor sich hin sagend, variierend, weiterdenkend, ausspinnend, zu Papier brachte, komponierte, verdichtete.
    Wer ist Karl Wimmer?
    Niemand. Eine Figur in meinem Stück. Die hab ich mir ausgedacht.
    Er sagt: Alle acht Jahre fordert der Braunsee ein Opfer
    Ja, das sagt man allgemein hier, das ist eine Legende
    Er sagt weiter: Es wäre wieder soweit. Vielleicht sollten wir aber selbst für das Opfer sorgen, damit das richtige erwischt wird. – Wer hat das gesagt?
    Der Wimmer in meinem Stück.
    Und wer ist der Wimmer in Wirklichkeit? Wer hat das wirklich gesagt?
    Ich weiß es nicht. Niemand. Bitte, das ist Literatur
    Jeden Abend ging Trisko in seinem Zimmer auf und ab, in seinem Kopf ein Stimmengewirr, aus dem er schöpfte, er wiederholte Gehörtes, er füllte Tonfälle, die er im Ohr hatte, mit Worten, gab den Gesten, die er vor sich sah, Sinn und Bedeutung. Was er wirklich gehört, was er assoziiert, weitergedacht, erfunden hatte – er konnte es nicht mehr sagen.
    Er beschrieb, wie die Gemeinde daranging, auf den Ausbau von Fremdenzimmern zu setzen und Werbekampagnen plante, um Fremde herzulocken, während zugleich in der Gemeinde eine fremdenfeindliche Stimmung aufkam, wegen der Gastarbeiter, die plötzlich in der Glasfabrik eingestellt wurden. Durch den Lohndruck und die Rationalisierungen in der Glasfabrik lebten auch alte klassenkämpferische Parolen auf, die sich seltsam vermischten mit dem Unternehmerbewußtsein, das die zukünftigen Zimmerwirte gleichzeitig herausbildeten.
    Herr Trisko, wenn Sie sagen, Sie haben sich das alles ausgedacht, den Satz Wer hat uns verraten? Die Sozialdemokraten!, den haben Sie sich auch ausgedacht, ja? Sehr orginell! Kommen Sie uns nicht so, Herr Trisko, also: Wer ist dieser Franz Potmesil, der das sagt und dann den Vorschlag macht, dem Bürgermeister – ich zitiere: einen Denkzettel zu
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