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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr
Autoren: Robert Menasse
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leer war, bis auf einen winzigen Rest. Sie ging den Abfuhrweg hinunter, wie oft ist sie früher da hinuntergegangen, um ihrem Mann in der Proviantdose das Essen zu bringen, da überall sind sie gesessen, Dutzende Männer, grau vom Staub, schon die Jungen haben ausgeschaut, als wären sie grauhaarig, vom Staub graue, staubtrockene Haare, auch wenn sie geschwitzt haben, das sah man nur als Schlieren in ihren Gesichtern. Jetzt saß nur noch einer da. Ob er eine Pause machen, etwas essen wolle? Sie gingen den Weg hinauf, in ihr Haus, ganz langsam, wegen seines Knies.
    Nach was riechts denn da so gut?
    Eine Schwammerlsoß hab ich gemacht.
    Sollt man aber nicht mehr essen, seit Tschernobyl.
    Den Krebs, den wir davon kriegen, erleben wir eh nicht mehr.
23.
    Königs Euphorie war so gewaltig, daß sie zunächst nicht einmal von der Nachricht, die er nun erhielt, erschüttert wurde. Dann erstaunte ihn aber selbst sein glücklicher Gleichmut, und einen Moment lang hörte er nicht mehr zu, sah nur verwundert die Nejedly an, sah sich im Zimmer um, mit plötzlich angstvoll angehaltenem Atem, bis er schließlich wieder schnaufend Luft holte. Mit seinen Augen stimmte etwas nicht, alles hatte so besonders kräftige Farben und begann zu flimmern, geriet in Bewegung, das Gesicht von Frau Nejedly war nun ganz weiß und schwankte, nein, es flatterte vor ihm wie ein mit Gesichtszügen bemaltes Laken im Wind, er schloß die Augen, das konnte nicht sein, Sag das noch einmal, rief er ins Telefon und gab der Nejedly ein Zeichen, daß sie still sein möge, er versuchte seinen Kopf ganz ruhig zu halten, was war mit ihm los, warum schaukelte er so verrückt mit dem Kopf? Nein, es schaukelte innen in seinem Kopf, er hielt den Kopf auf eine so starre Weise ruhig, daß er die Nackenmuskeln spürte, es war in seinem Kopf drinnen, dieses Schaukeln, da war etwas, das hinunterwollte, absinken, und etwas anderes, das hochwollte, hinauf, so ging das hin und her, hinauf, das mußte er jetzt: sich aufbäumen, funktionieren. Ertrunken, im See? Wer geht denn, er mußte schlucken, er hatte so viel Speichel im Mund, in dieser Jahreszeit, noch in den See? Er sah vor seinen geschlossenen Augen den See, mit einem rhythmischen Wellenmuster, wie eine riesige Waschrumpel. Als sein innerer Blick diese Waschrumpel entlangfuhr, hörte er ein scharrendes Geräusch: seine Stimme. Ein Kind? Ist es vom Steg gefallen? Welches Kind? Was heißt – Wieder mußte er schlucken, er spürte ein starkes Herzklopfen, er spürte, wie ihm der Schweiß aus den Poren trat, er spürte das buchstäblich, da waren kleine runde Tropfen unter seiner Haut, und die preßten sich in die Poren, preßten sich durch, wurden dabei ganz dünn und länglich, traten plötzlich wieder rund heraus und kullerten auf seiner Haut hinunter. Das stichelte und perlte, er mußte kichern, Nein, nein, das war nichts, was heißt, es soll ein Gastarbeiterkind sein? Ist es jetzt ein? Was? Er öffnete die Augen, die Nejedly, wie sie schaute, jetzt sah ihr Gesicht aus wie das einer Puppe, in der eine Hand steckte, die sie von innen zerknautschte. Er kicherte. Da wurde das Herzklopfen unangenehm, die Angst, wie führte er sich auf? Das war das andere in ihm, das sich aufbäumte, das sich wehrte gegen dieses Sinken, er schluckte, Ich komm gleich hin, sagte er und legte den Hörer neben die Gabel, dann legte er den Hörer auf die Gabel, wie schief die Nejedly schaute! Bringen Sie mir einen Kaffee, sagte er, irgendwas ist, mit meinem Kreislauf. Er stand auf und ließ sich gleich wieder in den Stuhl fallen, was war das für ein Taubheitsgefühl in den Füßen? Noch einmal stand er auf, ganz vorsichtig, ging langsam durch das Zimmer und wieder zurück, setzte sich. Geht schon wieder. Die Nejedly kam mit dem Kaffee. Der Kreislauf, sagte er, es wird mir alles, er schluckte, zuviel. Er wischte sich mit dem Taschentuch den Schweiß vom Gesicht. Und einen Schnaps, Frau Nejedly, mir ist schlecht, ich brauche einen, Schnaps glaube ich. Er nippte vom Schnaps, trank vom Kaffee, Es fügt sich alles zusammen, sagte er. Wie sie schaute. Er mußte sich zusammenreißen. Da war in ihm eine Stimme, die wollte heraus, reden, reden, Mir ist nicht wohl, Frau Nejedly, bei dieser Geschichte. Wenn rauskommt, daß da, ein Denkzettel, Frau Nejedly, daß da wer, ich sag nur, Frau Nejedly, es hat Redereien gegeben, gegen die Gastarbeiter, und jetzt, haben wir ein totes Gastarbeiterkind, nein, nein, ein tragisches Unglück, sicher, ein Unfall, wird
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