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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr
Autoren: Robert Menasse
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sich aus? Wollte sie schwimmen gehen? Durch das Gestrüpp und Schilf hindurch in den See? Aber das ging doch nicht, außerdem war es zu kühl. Sie hielt das Kleid in der Hand, deutete etwas, was meinte sie? Was wollte sie?
    Die Kinder standen sich gegenüber, sie griff an sein Hemd, hielt ihm ihr Kleid hin, in einer auffordernden Bewegung, es zu nehmen, der Junge nahm das Kleid, ließ es fallen, ein roter Fleck auf den grünen Blättern, sie zog sein Polohemd hoch, ein grünes Polohemd, er zog es sich über den Kopf, gab es ihr, sie deutete auf seine Hose. Warum? Das waren Kinder, die konnten doch nicht – der Junge zog die Hose aus, was wollte dieses Mädchen, was war das für ein Spiel? Flink zog das Mädchen das Polohemd, die Hose des Jungen an, hob das Kleid auf und gab es ihm. Nun zog er ihr Kleid an. Nach dem Kleidertausch sahen sie einander an, das Mädchen lachte, schwer zu erkennen vom Hochsitz aus, aber Roman meinte doch, daß sie lachte, nun lachte auch der Junge, der Junge in dem roten Mädchenkleid lachte übertrieben, er lachte tapfer, das war zu sehen, das war ihm nicht geheuer, aber vielleicht war es wirklich lustig, der Kleidertausch, der Rollenwechsel, das Identitätsspiel, einer wurde zum anderen, beide waren beide gleichzeitig, sie legte einen Arm um ihn, legte ihren Kopf auf seine Schulter, dann lief sie los, drehte sich nach dem Jungen um, winkte Komm mit, na komm doch.
    Roman kauerte auf dem Hochsitz, spähte durch einen Spalt in der Holzverschalung, warum hatte er seine Videokamera nicht dabei? Weil er schon seit Tagen nicht mehr filmte. Wozu denn noch? Wozu denn alles filmen? Diese Szene. Sie hatte wahrscheinlich etwas Unschuldiges, Schönes, etwas naiv Liebevolles, Verliebtes. Etwas Beklemmendes bekam sie nur durch ihn, den Wächter auf dem Hochsitz.
    Das Mädchen lief über die Wiese hin zu dem Uferstreifen, der von der Gemeinde als Strandbad hergerichtet worden war, der Junge ihr nach, dann blieb er stehen und rief etwas. Er rief und winkte, es war deutlich, daß er dort nicht hinwollte, wo Leute vorbeikommen und ihn sehen könnten in diesem Kleid.
    Roman setzte sich auf den Boden des Hochsitzes, lehnte sich an die Verschalung und schloß die Augen.
    Als das Mädchen die Männer sah, versteckte es sich hinter einem Findling, noch bevor es selbst gesehen wurde. Als der Junge die Männer sah, drehte er sich um und ging mit gesenktem Kopf weg. Als die Männer das Kind im roten Kleid sahen, liefen sie ihm nach. Das alles sah Roman nicht mehr.
21.
    Vinzenz, ich bins, paß auf! Wir können jetzt größer planen. Ich sag nur eines: Idealvariante. Vinzenz! Hallo! Bist noch da?
    Ja Dolf.
    Was machst denn gerade?
    Schreiben.
    Museumskonzept ?
    Nein, Stück.
    Vergiß das. Häng dich in die Museumsgeschichte. Die Nemec gibt uns das Haus.
    Ist das fix?
    Ja. Sie hat vorhin angerufen, hat gesagt, daß sie sich alles überlegt hat, und ich soll zu ihr kommen. Gerade war ich dort.
    Und was hat sie gesagt, genau?
    Daß sie das Haus nicht mehr braucht. Total freundlich war sie. Sogar eine Schwammerlsoß hab ich bekommen. Sehr gut war die. Mit einem echten Erdäpfelknödel, ganz blau, genau wie es sein soll. So was macht mir meine Frau nicht mehr, ist ihr zuviel Arbeit, da gibts nur die blassen aus dem Packl.
    Und was verlangt sie?
    Das hat sie nicht angesprochen. Hat nur gesagt, daß sie nachgedacht hat, das Haus braucht sie nicht mehr, wir sollen damit machen, was wir wollen. Ich laß jetzt einen Vertrag schreiben, na da werden wir großzügig sein mit der Leibrente, am Ende ist es auf jeden Fall ein Pappenstiel.
    Das wundert mich, daß sie
    Was wundert dich? Wenn ich was in die Hand nimm. Also vergiß die Minimalvariante mit der Baracke. Wir kriegen das Haus. Jetzt hast du alle Möglichkeiten. Das Geld vom Land ist auch da. Also Idealvariante. Das kommt noch in den Prospekt. Häng dich rein. Das wollt ich dir sagen.
    Du Dolfi, ich hab kein gutes Gefühl, es kommt so eine Stimmung auf, ich habe gehört
    Ach was, die Stimmung ist ausgezeichnet. Das mit der Nemec war wieder ein Schritt. Es fügt sich alles zusammen. Ich fühl mich ausgezeichnet, so gut wie schon lange nicht. Und du weißt, ich hab das Gespür. Ich sag immer, wir müssen mit positivem Optimismus in die Zukunft, du, da geht das andere Telefon, und die Nejedly kommt auch grad rein, also machs gut ja?
22.
    Frau Nemec stand am Rand des Steinbruchs und schaute hinunter in dieses riesige Gefäß, aus dem sie ihr Leben geschöpft hatte und das jetzt
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