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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr
Autoren: Robert Menasse
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Er stand, für das Publikum nicht sichtbar, seitlich von den Kulissen, starrte auf die Bühne und hatte ein Stimmengewirr im Kopf. Er sprach jeden Satz, der gesprochen wurde, unhörbar mit Wächst mir ein Kornfeld in der flachen Hand? Wächst! Wääächst! Nicht waxt!, dachte so beschwörend, als ob die Schauspieler ihn dadurch hören könnten, seine Anweisungen Nicht so steif! Beweg dich ganz natürlich! und formulierte im Geist auch schon die Kritik Mit Franz Ableidinger entdeckte Trisko ein schauspielerisches Naturtalent.
    So unerfreulich dieser grobe und hinterhältige Franz Ableidinger privat auch war, ihm die Rolle des Teufels zu geben erwies sich als Glücksgriff. Trisko war hingerissen, wie Franz mit seinem ganz natürlichen Grinsen, das man erst im Kontext dieses Stücks als wahrhaft diabolisches erkennt, den Landesherrn Graf Wenzel von Peugenstein fragt, was dieser denn aus einem Volk herauszupressen hoffe, das einen Boden bewirtschaften müsse, der ganz aus Stein sei. Geröll und Schotter, Findlinge und Restlinge, und unter einer nur dünnen Erdschicht ein Massiv aus Granit. Pflugscharen zerbrechen an dem Stein, über die Steine straucheln die erschöpften Rösser, für jeden Stein, aus dem Anger gegraben, wachsen zwei neue, noch größere nach. Und daß der Bürgermeister Adolf König selbst, noch dazu so übertrieben geschminkt mit glänzend roter Säufernase, die Rolle des versoffenen, protzsüchtigen, geld- und machtgierigen Grafen Wenzel spielte, löste Gelächter, Johlen und Füßetrampeln in der Mehrzweckhalle aus, wurden doch auch dem Bürgermeister entsprechende Eigenschaften nachgesagt. Aber als es zum Teufelspakt kam, war es still im Zuschauerraum, Eigentlich schön, wie ursprünglich die Menschen hier noch auf Theater reagieren, der Teufel versprach, allen rohen Stein, der sich auf den Besitztümern des Grafen befand, in pures Gold zu verwandeln, ihm also – bei diesem Satz gab es allerdings einen Lacher – unermeßlichen Reichtum bis ans Ende aller Tage seines Geschlechts zu schenken, wenn der Graf ihm seine Seele verschreibe und Auftrag gebe, alle Kirchen und Kapellen in seinem Herrschaftsbereich abzubrennen. Auch die problematische Szene ging gut, als dem Grafen Wenzel von der erfolgten Brandstiftung berichtet wird, aber auch davon, daß die Menschen mit allen Kräften die Flammen wieder zu löschen versuchten, worauf der Landesherr zu Boden sinkt, sein Herz hatte nicht standgehalten, die Gier, die Aufregungen waren zu groß, Sterben kann der Dolf nicht, er kann es einfach nicht! Der Abend schien gelaufen, jetzt würden die Szenen kommen, die Trisko bewußt so angelegt hatte, daß das Publikum Identifikationsorgien feiern konnte.
    Seitlich hinter der Bühne stand nun Bürgermeister König und beobachtete die kleine Franzi, die sich für ihren Auftritt bereithielt. Sie spielte die Rolle jener Barbara Witty, der achtjährigen Tochter eines Komprechtser Kaufmanns im 17. Jahrhundert, der eines Nachts ihre Namenspatronin, die heilige Barbara, mit einem Bündel Weidenruten erschienen ist, um mit Hilfe des unschuldigen Kindes den Menschen zu verkünden, daß der Granit hier im Boden kein Fluch, sondern ein Segen sei, weil er Arbeit für viele Hände, Brot für viele Münder bedeute, ein Bodenschatz genauso wie das Gold, wenn man ihn zu heben verstünde. Der Legende zufolge habe die heilige Barbara dem Kind die damals hier unbekannte Technik erklärt, in genau angegebenen Abständen Löcher in das Gesteinsmassiv zu schlagen, diese mit scharf getrocknetem Weidenholz dicht auszukeilen, das Holz schließlich mit heißem Wasser zu begießen, so daß die Keile quellen und mit dieser Elementarkraft den Stein blockförmig sprengen. Dies soll zur Gründung des Komprechtser Steinbruchs geführt haben, und in der Folge, durch die damit verbundene Gewinnung von Quarzsand, auch zur Gründung der Glasfabrik, wodurch Komprechts schließlich eine wohlhabende und für die Region bedeutsame Gemeinde wurde.
    Gerne hätte es der Bürgermeister König gesehen, wenn die Besetzung dieser für die weitere Geschichte des Gemeinwesens so wichtigen Rolle der kleinen Barbara gleichsam in der Familie geblieben wäre. Nun hatte er zwar ein achtjähriges Kind, allerdings einen Sohn, weshalb er sogar kurz überlegt hatte, den Buben einfach in Mädchenkleidern auftreten zu lassen. Hat er nicht ein hübsches, glattes Gesicht und eine helle Stimme? Er könnte in einem Kleidchen glatt als Mädchen angesehen werden. Aber ganz
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