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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr
Autoren: Robert Menasse
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geheuer ist dem Bürgermeister die Idee dann doch nicht gewesen, weswegen er sich bei der Besetzung der Rolle nicht eingemischt hatte. Nun aber, nachdem er als Graf Wenzel seinen Theatertod gestorben und mit Gejohle und Geklatsche aus dem Stück ausgeschieden war, erschien selbst ihm, von der Magie des Theaterspielens verzaubert, all das, was nun kommen sollte, wieder aufs äußerste bedeutsam – und es wurde ihm schmerzhaft bewußt, daß ausgerechnet jetzt, da das Stück dem Aufbruch in die neue Zeit zustrebte, der Name König keine Rolle mehr spielen würde. Er beobachtete wie in Trance den Beleuchter Schandl Franz, der mit Hilfe mehrerer roter Filter und eines Lichtzerhackers den aufleuchtenden und wogenden Flammenschein der brennenden Kirche auf die Bühnenkulisse warf, dann wieder, fast schon verärgert, die kleine Franzi. War nicht alles, was Komprechts heute ist und hat, ihr zu verdanken? Selbst die Tatsache, daß diese Gemeinde, inmitten einer tiefschwarzen Region, einen roten Bürgermeister wählt, da die Komprechtser Frauen und Männer mehrheitlich in der Glasfabrik oder im Steinbruch beschäftigt sind und kaum mehr in der Landwirtschaft. Adolf König dachte, daß es vielleicht doch besser gewesen wäre, wenn sein Sohn, Mädchenkleider hin oder her, die Barbara Witty einstudiert hätte. War Franzi nicht die Tochter des schwarzen Vizebürgermeisters Macho? Hier war er zu wenig achtsam gewesen. Er wußte doch, wie die Menschen reagierten, wie sie nachhaltig lenkbar waren durch alles, was man ihnen vorspielte.
    Das rote Scheinwerferlicht wogte über die Bühne, sein Widerschein flackerte in den Gesichtern der Zuschauer, als plötzlich die Komprechtser Kirchenglocken zu läuten begannen und bald darauf auch die Feuerwehrsirene einsetzte. Das Publikum, beeindruckt vom Anschein der brennenden Bühne, hielt dies für einen raffinierten Regieeinfall, ungeachtet des Anachronismus, den die Sirene in diesem Stück darstellte, und als plötzlich ein Flügel der Saaltür aufgerissen wurde, der Gendarm Janda hereinlief und kreidebleich Es brennt! Es brennt! rief, war das Publikum vollends baff wegen des überzeugenden Realismus der Inszenierung. Die Schauspieler allerdings, die weder mit dem wirklichen Kirchenglockengeläute noch mit der Feuerwehrsirene, und schon gar nicht mit dem Feuer schreienden Gendarmen gerechnet hatten, standen augenblicklich starr und stumm auf der Bühne. Erst als der Ableidinger, für das Publikum also der Teufel selbst, wieder auf die Bühne kam und verwundert fragte, wo es denn brenne, brach nach kurzer Stille, während der auch der Vorhang fiel, Panik aus, die Komprechtser drängten ins Freie, wo sie über einem tiefblauen Horizont orangerotes Licht in wechselnder Stärke glühen sahen. Dies mußte ihnen, nach dem vergleichsweise simplen Lichtspiel in der Halle, nun den Eindruck einer wirklichen Brandkatastrophe geben. Rasch verbreitete sich die Meinung, daß das Feuer in der Glashütte am Ortsende ausgebrochen sein müsse, wo zum Schmelzen des Quarzsandes die Ofenanlagen ununterbrochen auf hoher Temperatur gehalten wurden. Sofort liefen die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Komprechts mit dem Bürgermeister zum nahe gelegenen Feuerwehrhaus, von wo sie mit dem Spritzentransporter und dem Mannschaftswagen zur vermeintlichen Brandstelle losfuhren.
    Dieser erste »Einsatz im Ernstfall« der beiden drei Jahre zuvor von der Gemeinde erworbenen Fahrzeuge endete mit einer Groteske, die sich zu einer peinlichen Staatsaffäre auswachsen hätte können. Es gelang aber dem österreichischen Außenministerium, die Affäre gutnachbarschaftlich zu regeln und sogar gegenüber den Medien zu vertuschen.
    Nachdem die Komprechtser Feuerwehrmänner die Glasfabrik erreicht hatten und diese unversehrt vorfanden, rasten sie weiter, die Augen immer nur auf den vermeintlichen Flammenschein am Horizont gerichtet, passierten in Höllentempo die nur zwei Kilometer dahinter gelegene österreichische Staatsgrenze und kamen erst zu stehen, nachdem sie den tschechoslowakischen Grenzbalken durchbrochen hatten. Bürgermeister König sprang vom Beifahrersitz des Löschwagens auf die Straße und sah sich der Maschinenpistole eines tschechischen Grenzsoldaten gegenüber. Er riß die Hände hoch, immer noch im Kostüm des Grafen Wenzel, mit rotgeschminkter Nase, dazu jetzt auch noch mit Feuerwehrhelm, hinter sich hörte er die Sirene von Komprechts, neben sich das Folgetonhorn des Feuerwehrwagens, und vor sich das schrille
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