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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen
Autoren: Amity Gaige
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können, wo ihre Liebe von Dauer gewesen wäre. Denn am Ende sind die großen, widerstreitenden Kräfte unseres Daseins nicht etwa (wie der Bräutigam inzwischen glaubt) Leben versus Tod , sondern Liebe versus Zeit . In den meisten Fällen überlebt die Liebe nicht das Vergehen der Zeit. Aber manchmal tut sie es doch. Manchmal muss sie es tun.

APOLOGIA (FORTSETZUNG)
    Wie dem auch sei. Bald nach seiner Eheschließung wurde der Bräutigam Immobilienmakler, wenn auch nicht aus freien Stücken. Es war keine schlechte Entscheidung. Es war einfach nur nicht seine. Inzwischen lag der Brautvater dem Paar bezüglich der Zukunftspläne des Bräutigams beständig in den Ohren. Er vermutete, dass der Bräutigam als medizinischer Übersetzer wenig Geld verdiente und bei seinem »unabhängigen Forschungsprojekt« noch viel weniger. Dass er sich einmischte, nahm die Braut ihrem Vater übel. Sie war nicht der Meinung, dass der Bräutigam seinen Lebensstil konventionalisieren müsse. Sie mochte die Vorstellung, dass er gedankenversunken zu Hause saß, und sie mochte es, ihn genau so an seinem Schreibtisch vorzufinden, wie sie ihn zurückgelassen hatte, wenn sie von ihrem Referendariat zurückkam. Die Braut behauptete sogar, der Bräutigam begehe an sich selbst Verrat , wenn er sein Projekt an den Nagel hänge. Er begehe Verrat an seinen Träumen, und diese Träume verdienten eine Chance. Rückblickend scheint der Bräutigam ein Exemplar derjenigen Art von selbstmörderischer Integrität darzustellen, zu der die Braut ihre Schüler gern ermutigte.
    Also bat die Braut ihren Vater, sich zurückzunehmen . Sie erzählte ihrem Vater, das Forschungsprojekt des Bräutigams habe durchaus Hand und Fuß. Die Braut erzählte ihrem Vater, dass der Bräutigam sehr hart arbeite und vielleicht sogar ein Visionär sei, ein Begriff, der ihren Vater in Unruhe versetzt haben muss, denn Vision und Halluzination klingen doch allzu verwechselbar.
    Aber der Mann war nun mal ihr Vater. Er war und blieb besorgt. Kurz nachdem das Paar aus den Flitterwochen zurück war, kam der Schwiegervater vorbei, um mit dem Bräutigam ein Gespräch unter vier Augen zu führen. Der Bräutigam erinnert sich noch sehr gut daran. Der Schwiegervater – nennen wir ihn Hank, denn das ist sein Name – setzte sich mit arthritisch knackenden Knien gegenüber dem Bräutigam auf ihr Zweite-Hand-Sofa in Pine Hills, und die beiden unterhielten sich lange über die vielen Verkehrsunfälle auf einem wenig gestreuten Abschnitt des Hackett Boulevard, bevor sie in unbeholfenes und gewichtiges Schweigen verfielen. 2
    »Eric«, sagte Hank schließlich. »Ich weiß nicht genau, wie ich das jetzt sagen soll, also erzähle ich dir stattdessen eine Geschichte.«
    Die Geschichte handelte vom jungen Hank mit zwanzig. Die Geschichte handelte davon, wie sich Hank, nachdem er damals in Troy, New York, seine damals noch schlanke Frau heiratete, von seinem Schwiegervater in einer nicht unähnlichen Wohnung einen Vortrag hatte anhören müssen. In der Geschichte musste Hank dasitzen und seinem Schwiegervater lauschen, der lang und breit von Verantwortung und Zukunft und Ersparnissen erzählte und wie wichtig es sei, gegen wirklich alles versichert zu sein, und er löste im Kopf des Jungen so viel Stress aus, dass der Junge am liebsten einen Rückzieher gemacht und die Hochzeit abgeblasen hätte. Er schwor bei Gott, dass er niemals so werden würde. Niemals würde er seinen eigenen Schwiegersohn so unter Druck setzen. Ein frisch vermählter Mann, so Hank, sei nämlich wie der Kapitän eines ruderlosen Schiffes. Auf hoher See, ohne Kompass, ohne Gestirne, ohne Mannschaft, ohne Land in Sicht. Doch am Ende – und das war die Moral von der Geschichte – war Hank, wenn auch grollend, dem Rat seines Schwiegervaters gefolgt, und erst nach dem Ableben des alten Mannes hatte Hank erkannt, dass dessen Ansichten so falsch nicht waren und dass er Hank vielleicht sogar geliebt hatte. Hank vermisste ihn manchmal, diesen ungebetenen Vater, an dem einen oder anderen frischen Wintermorgen.
    Der Bräutigam hatte zugehört, hatte dankbar gelacht, war mitleidig zusammengezuckt, während seine Frau in der Küche voller Verärgerung Eiswürfel im Mixer zerkleinerte, doch die ganze Zeit dachte er: Wieso Stress? Wieso ruderloses Schiff? Der Bräutigam war nie in seinem Leben glücklicher gewesen. Nie sorgloser. In jenem bescheidenen Hotel in Virginia Beach hatten sie beide, aberwitzig blass vom nördlichen Winter, fünf Tage
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