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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen
Autoren: Amity Gaige
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dass alles, was du sagtest, auf mehreren Ebenen wahr ist. Du brauchtest sehr lange, um beim Arzt ein simples Formular auszufüllen, klopftest dir mit dem Stift gegen die Lippen. Hast du einmal pro Tag oder einmal pro Woche Sport gemacht? Na ja, du hast mehrmals in der Woche Sport gemacht, aber nicht täglich . Ich beugte mich über deine Schulter, um dir bei der genauen Betrachtung der Nichtigkeiten zu helfen, die dich gerade mal wieder beschäftigten. Mit Vergnügen habe ich Barcodes und Zutaten und Kleingedrucktes aller Art mit dir studiert. Lebensmittelladen, Zulassungsstelle. In Amerika hat man endlose Möglichkeiten, genau hinzusehen. Und nichts ist dir entgangen. Nichts, außer mir natürlich.
    Die Ehe. Der Zusammenprall von Erwartungen erzeugt einen neuen Akkord. Wir heirateten standesamtlich, feierten im kleinen Kreis. Die Flitterwochen verbrachten wir in Virginia Beach. Und nach diesen Ritualen kam das Mieten der Wohnung und das Umstellen von Möbeln, und dann senkte sich eine Muße über uns, und wir waren wie jedes frisch vermählte Paar und fragten uns nervös, ja und jetzt? Wie geht’s weiter? Eine Zeitlang schien etwas zu fehlen – ein anderer , ein Anführer oder ein Häuptling. Eine dringend benötigte dritte Person, deren Rolle es war, den Verkehr zwischen uns zu regeln, planerische Konflikte zu verhandeln, Kompromisse zu schmieden, kulturelle oder religiöse Differenzen zu übersetzen. Oder hätten wir das wirklich alles allein meistern sollen? Ausgerechnet wir beide ? Du, die Braut, die sich nach Kräften mühte, als Tochter zweier etwas engstirniger, aber gutherziger Katholiken aus Delmar, New York, über ihre provinzielle Herkunft hinauszuwachsen. Und ich, der Bräutigam, aus einer (völlig fiktionalen) Stadt auf Cape Cod, die er Twelve Hills nannte, »ein Katzensprung von Hyannis Port«, behütetes Einzelkind und Träger eines Nachnamens, der allenthalben Entzücken hervorrief.

ERRATUM
    Noch mal fürs Protokoll: Der Bräutigam hat der Braut niemals weismachen wollen, dass er mit den ruhmreichen Präsidentschafts-Kennedys verwandt sei. So stand es in der Presse, und der Bräutigam weist es kategorisch zurück. Nein, es war einfach der Name »Kennedy«, dazu das »unweit von Hyannis Port«, und sofort wurden voreilige Schlüsse gezogen. Der Bräutigam räumt ein, ein oder zwei Mal spätnachts gegenüber seinen Kommilitoninnen am Mune College das Gerücht, ein Cousin zweiten Grades der Hyannis-Port-Kennedys zu sein, nicht ausreichend entkräftet zu haben . Und er will nicht abstreiten, dass der Name die Mühlen der Bürokratie oft schneller mahlen ließ und den ansonsten eher mühsamen Begegnungen mit Kreditgebern, Verkehrspolizisten usw. ein wenig auf die Sprünge half , auch wenn er jedwede Verwandtschaft bestritt.
    Die Braut indessen schien sich nie sonderlich für den Bräutigam als »Kennedy« zu interessieren. Wenn die Braut von dem Namen beeindruckt war, damals an dem Tag, als sie sich im Washington Park begegneten, und an all den Tagen danach, verlor sie nie ein Wort darüber. Die Braut war eine ernste und moralische Frau, die nicht so leicht ins Schwärmen geriet. Zudem war sie eine Frau, die (übrigens) in den Jahren, in denen sie vom Bräutigam geliebt wurde, eine unglaubliche, verschwenderische Schönheit annahm, und der Bräutigam möchte das hier auch einfach mal erwähnen und in Worte fassen, falls es einer von beiden vergessen sollte. Tatsächlich brauchte der Bräutigam sie nur anzusehen, und es haute ihn um. Und ich meine, ganz egal wann . Einfach ihre Anwesenheit. Wenn sie von einem Zimmer ins andere ging. Zum Beispiel, wenn sie in Pine Hills mit einem Teller Rührei aus der kleinen Küche trat. Der Bräutigam war verliebt in sie. Ungelogen. Und als er verliebt in sie war, schien die Minute nicht mehr Mittel zum Zweck einer Stunde zu sein. Vielmehr schien jede Minute wie ein Selbstzweck, eine Stille, vage und kreisförmig, ein sanft suggeriertes Territorium, in dem man lebendig sein konnte. Dieser Trick, den sich die Liebe mit den Minuten erlaubte, verlieh den Stunden und Tagen etwas diffus Transzendentes, das im Bräutigam einen vollständigen Mangel an Ehrgeiz erzeugte und ihm annähernd das Gefühl von wahrem Glück, wahrer Erleichterung verlieh, und noch immer fragt er sich, was wohl passiert wäre, wenn sie so hätten weitermachen können, wenn sie so verliebt hätten bleiben können, wenn sie vielleicht durch ein Wurmloch hätten kriechen und an einen Ort gelangen
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