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Schmerzverliebt

Schmerzverliebt

Titel: Schmerzverliebt
Autoren: Kristina Dunker
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1 Pia
    »Findest du den Pudding auch so lecker? Ich hab schon drei Mal nachgenommen …«
    Dass dieser Junge zu viel isst, kann man nicht übersehen. Ich will mich bücken, um den kleinen Löffel aufzuheben, der mir heruntergefallen ist, da reicht er mir bereits einen neuen.
    »Danke.«
    »Keine Ursache.« Er mustert mich. »Was ist mit deinen Armen?«, will er wissen.
    Auf die Frage bin ich nicht vorbereitet. Bisher hat glücklicherweise niemand bemerkt, dass ich unter meinen Pulloverärmeln, die ich mir bis über die Handgelenke gezogen habe und zusätzlich mit den Fingerspitzen festhalte, etwas zu verbergen suche. Weder meine Freundin Conny, auf deren Geburtstagsfeier wir gerade sind, noch meine Mitschüler oder meine Familie.
    »Wieso?«, sage ich unfreundlich. Das ist keine Antwort, aber ich muss Zeit gewinnen.
    »Na, weil du deinen Pulli so komisch festhältst.«
    Entweder drehe ich mich jetzt weg und rede kein Wort mehr mit dem neugierigen Typen oder ich lasse mir blitzschnell eine Geschichte einfallen. Die Wahrheit kann ich auf gar keinen Fall sagen.
    »Ach, das meinst du«, beginne ich, »ich hab die Arme voller Wespenstiche. Die jucken schrecklich.«
    »Wespenstiche?«
    »Ja genau. Gut, dass die Viecher mich nur an den Armen erwischt haben und nicht im Gesicht. Da hab ich echt Glück gehabt. Wir haben nämlich ein Nest im Garten, das hab ich erst heute entdeckt, oder besser gesagt, mein kleiner Cousin hat’s entdeckt: Er hat seinen Fußball mitten reingeschossen.«
    »Oh!«
    Glaubt er mir? Ich bin mir nicht sicher.
    »Der Kleine ist erst vier und einfach seinem Ball hinterhergelaufen …«
    »Nein!«
    »Natürlich kamen die Wespen sofort in Schwärmen aus ihrem Nest raus und … na, du kannst dir vorstellen, was da los war!«
    So erschrocken, wie er jetzt guckt, muss er mir einfach glauben. Jetzt nickt er zustimmend. Er nimmt mir die Story also ab. Perfekt! Gut, dass ich nicht einfach einen auf Zicke gemacht und mich ohne Ausrede weggedreht habe. So ist es viel besser. Ich bin ein unschuldiges Wespenopfer. Das klingt so gut, dass ich es selbst gern glauben möchte.
    »Und da bist du mitten rein in den Wespenschwarm und hast ihm das Leben gerettet?«
    »Na ja, das Leben gerettet nun nicht gerade.« Ich mache eine abwehrende Handbewegung. Schließlich darf man beim Lügen nicht zu dick auftragen.
    »Sicher hast du das! Er hätte sterben können! Was meinst du, wie viele Menschen auf Wespenstiche allergisch reagieren? Ich zum Beispiel! Und Kinder sind ja noch viel empfindlicher! Hat der Kleine viel abbekommen?«
    »Geht so. Ich hab ihn ja rechtzeitig weggezogen. So dramatisch war’s nun auch wieder nicht.«
    Der Junge schüttelt den Kopf. »Du brauchst das nicht runterzuspielen, ich weiß, wie aggressiv Wespen sein können. Mir ist mal eine ins Hosenbein geflogen, da bin ich aber gehüpft!«
    Er macht eine umständliche Bewegung, hält seinen massigen Bauch mit beiden Händen fest und versucht ein paar schwerfällige Sprünge.
    Es sieht komisch aus. Ich muss grinsen.
    »Ich bin gehüpft wie eine Gazelle!«
    Er lacht locker über sich selbst und ich lache mit. Glück gehabt, vom Thema Wespen sind wir erst mal runter. Der naive Dickwanst hat außerdem Humor.
    »Also, ich glaub’s nicht, das ist schon ein verrückter Abend.« Er wischt sich eine Lachträne von der Wange. »Ich hatte zuerst gar keine Lust, zu dieser Party zu kommen. Ich kenne Conny kaum und hab nicht gedacht, dass ich mich hier wohl fühle und nette Leute treffe. Und schon gar nicht, dass ich hier eine echte Heldin kennen lerne!« Er betrachtet mich voller Stolz. »Wie heißt du? Ich bin Sebastian, hab ich das schon gesagt?«
    »Mm … nein.«
    »Komm, lass uns mit einem Glas Sekt anstoßen! Deine Rettungsaktion muss gefeiert werden!«
    Ich spüre, dass ich rot werde. Die Hitze steigt in meinen Kopf, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Heldin! Rettungsaktion! Von wegen!
    »Nein, danke, ich … ich möchte keinen Sekt.«
    »Warum denn nicht? Der schmeckt gut!« Sebastian greift nach zwei Gläsern, gießt sie voll, drückt mir eins in die Hand und strahlt mich an. »Prost, Lebensretterin!«
    »Prost, Sebastian!«, flüstere ich, stoße mit ihm an und setze das Glas an die Lippen. Ob er meine Geschichte längst durchschaut hat und nur so tut, als ob er mir glauben würde? Vielleicht will er mich mit seinem überschwänglichen Lob aufziehen oder aus der Reserve locken? Ich habe Angst, aber ich weiß nicht, was ich anderes tun soll, als an meiner
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