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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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hören Sie«, antwortete Fandorin streng, blätterte eine Seite in seinem Notizbuch um und sprach weiter, wobei er vorwiegend Angelina anschaute.
    »Zuerst die Vorgeschichte. 1882 ereignete sich in Moskau ein Skandal, in den Medizinstudenten und Studentinnen Höherer Frauenkurse verwickelt waren. Sie, Sozki, waren der Anführer, der böse Genius dieses unmoralischen Kreises und wurden darum als einziger von allen hart bestraft: zu vier Jahren Militärgefängnis, ohne Gerichtsverhandlung, man wollte kein Aufsehen. Sie sind damals mit unglücklichen, rechtlosen Prostituierten grausam umgesprungen, und das Schicksal hat es Ihnen mit der gleichen Grausamkeit vergolten. Sie kamen in das Chersoner Militärgefängnis, von dem erzählt wird, es sei schlimmer als die sibirische Katorga. Vor zwei Jahren wurde die Gefängnisleitung wegen Machtmißbrauchsvor Gericht gestellt. Aber zu der Zeit waren Sie schon weit weg …«
    Fandorin stockte und fuhr nach kurzem inneren Kampf fort: »Ich bin als Ankläger nicht verpflichtet, Rechtfertigungen für Sie zu finden, aber ich kann nicht verschweigen, daß die Gesellschaft selbst dazu beigetragen hat, daß aus dem lasterhaften Jüngling eine unersättliche, blutgierige Bestie wurde. Der Kontrast zwischen dem Studentenleben und der Hölle des Militärgefängnisses hätte jeden um den Verstand gebracht. Im ersten Jahr begingen Sie aus Notwehr einen Mord. Das Militärgericht erkannte mildernde Umstände an, erhöhte dennoch Ihre Haftstrafe auf acht Jahre. Nach dem Überfall auf einen Begleitsoldaten wurden Ihnen Ketten angelegt, und Sie kamen für lange Zeit in die Strafzelle. Wahrscheinlich haben Sie sich auf Grund der unmenschlichen Haftbedingungen in einen Unmenschen verwandelt. Nein, Sozki, Sie sind nicht zerbrochen, sind nicht verrückt geworden, haben nicht Hand an sich gelegt. Um zu überleben, wurden Sie ein anderes Wesen, das nur noch äußerlich einem Menschen gleicht. 1886 wurde Ihren Angehörigen, die sich übrigens längst von Ihnen abgewandt hatten, mitgeteilt, der Häftling Sozki sei bei einem Fluchtversuch im Dnepr ertrunken. Ich habe bei dem militärgerichtlichen Departement nachgefragt, ob die Leiche des Flüchtigen gefunden wurde. Das wurde verneint. Diese Antwort hatte ich erwartet. Die Gefängnisleitung hatte die Tatsache der geglückten Flucht vertuscht. Eine ganz gewöhnliche Sache.«
    Der Angeklagte hörte Fandorin mit lebhaftem Interesse zu, ohne seine Worte zu bestätigen oder zu bestreiten.
    »Sagen Sie, mein lieber Staatsanwalt, warum haben Sie den Fall des längst vergessenen Sozki wieder aufgerührt?Verzeihen Sie, daß ich Sie unterbreche, aber das hier ist ja kein offizielles Gericht, obwohl ich annehme, daß das Urteil endgültig sein wird und keiner Berufung unterliegt.«
    »Zwei von den Personen, die ursprünglich zu den Verdächtigen zählten, Stenitsch und Burylin, hatten auch dem ›Sadoklub‹ angehört und erwähnten Ihren Namen. Ich erfuhr, daß auch der Gerichtsmediziner Sacharow, der in die Ermittlung einbezogen war, dieser Clique angehört hatte. Mir war von Anfang an klar, daß der Verbrecher nur von Sacharow Informationen über den Verlauf der Ermittlungen erhalten konnte. Darum sah ich mir seine nähere Umgebung genauer an, ging aber anfangs in die Irre – ich hatte den Fabrikanten Burylin im Verdacht. Es paßte alles sehr gut zusammen.«
    »Und warum haben Sie nicht an Sacharow gedacht?« fragte Sozki leicht gekränkt. »Alles wies doch auf ihn, und ich habe mein Möglichstes dazu beigetragen.«
    »Nein, Sacharow kam als Mörder nicht in Betracht. Er hatte sich in der ›Sadistensache‹ am wenigsten von allen befleckt, war nur passiver Beobachter Ihrer grausamen Vergnügungen gewesen. Außerdem war Sacharow auf offene und provozierende Weise zynisch, was ganz untypisch ist für Triebtäter. Doch die Hauptsache: Sacharow war im vorigen Jahr nur anderthalb Monate in England und befand sich zur Zeit des Großteils der Londoner Morde in Moskau. Das habe ich als erstes geprüft und ihn aus dem Kreis der Verdächtigen ausgeschlossen. Er konnte nicht Jack the Ripper sein!«
    »Dieser Jack hat es Ihnen aber angetan.« Sozki zuckte ärgerlich die Achseln. »Nehmen wir mal an, daß Sacharow, als er seine Verwandten in England besuchte, viele Zeitungsartikel über den Ripper gelesen und daraufhin beschlossen hat,seine Sache in Moskau fortzuführen. Mir ist schon vor längerem aufgefallen, daß Sie mit der Zählung der Opfer Probleme haben. Der
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