Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
nicht an dieSchuld Sacharows geglaubt. Warum nicht? Es war doch alles so gut ausgedacht. Der Satan persönlich muß es ihm eingegeben haben.
    Mein Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen? Willst du die Festigkeit meines Geistes auf die Probe stellen?
    Das werden wir gleich prüfen.
    Schießen wird der Beamte nicht, denn seine Kugel würde den Dekorateur durchdringen und dann in dem Japaner steckenbleiben.
    Dem Dreikäsehoch das Skalpell in den Bauch rammen. Etwas unterhalb des Diaphragmas. Ihn danach mit einem Ruck an den Schultern umdrehen, als Schild benutzen und zu Fandorin stoßen. Bis zur Tür sind es zwei Sprünge, und dann werden wir sehen, wer schneller rennt. Den Häftling Nr. 3576 haben nicht einmal die blindwütigen Chersoner Wolfshunde eingeholt. Da wird er wohl auch dem Herrn Fandorin davonlaufen.
    Nun hilf, Herr!
    Die rechte Hand schnellte mit der Geschwindigkeit einer Feder nach vorn, doch die geschliffene Klinge fuhr ins Leere – der Japaner war mit unglaublicher Leichtigkeit zurückgesprungen und schlug mit der Handkante auf das Handgelenk des Dekorateurs, das Skalpell fiel mit einem stillen, traurigen Ton zu Boden, der Japaner aber stand schon wieder stocksteif mit leicht abgespreizten Armen.
    Der Instinkt zwang den Dekorateur, sich umzudrehen. Er sah die Mündung des Revolvers. Der Beamte hielt die Waffe an der Hüfte. Wenn er so schoß, von unten nach oben, würde die Kugel dem Dekorateur die Schädeldecke wegreißen, ohne den Japaner zu verletzen. Das änderte natürlich alles.
    »Und nun werde ich Sie erfreuen«, fuhr Fandorin mitruhiger Stimme fort, als wäre das Gespräch nicht unterbrochen worden. »Ich erspare Ihnen Verhaftung, Untersuchung, Gerichtsverhandlung und das unvermeidliche Urteil. Sie werden bei der Festnahme erschossen.«
    Nun hat sich Gott doch von mir abgewandt, dachte der Dekorateur, aber dieser Gedanke betrübte ihn nur kurz und wurde verdrängt von plötzlicher Freude. Nein, Er hat sich nicht abgewandt! Er hat sich meiner erbarmt und beruft mich zu sich! Du lässest mich jetzt zu Dir, Herr.
    Die Eingangstür knarrte, und eine Frauenstimme rief flehend: »Erast, tu’s nicht!«
    Der Dekorateur kehrte aus himmlischen Gefilden zurück auf die Erde. Neugierig drehte er sich um und sah an der Tür eine sehr schöne, stattliche Frau im schwarzen Trauerkleid, auf dem Kopf einen schwarzen Hut mit Schleier und um die Schultern einen lila Schal. In einer Hand hielt sie ein Bündel mit dem Osterkuchen, in der anderen einen Kranz aus Papierrosen.
    »Angelina, warum kommst du zurück?« sagte der Kollegienrat zornig. »Ich hatte dich doch gebeten, im ›Metropol‹ zu übernachten!«
    Eine schöne Frau. Sie wäre kaum schöner geworden auf dem Tisch, übergossen mit ihrem eigenen Saft, die Blütenblätter ihres Körpers weit geöffnet. Höchstens ein ganz kleines bißchen.
    »Mein Herz hat es gefühlt«, antwortete die schöne Frau dem Beamten und rang die Hände. »Erast Petrowitsch, töten Sie ihn nicht, laden Sie nicht diese Sünde auf sich. Ihre Seele würde daran zerbrechen.«
    Interessant, was der Kollegienrat darauf sagte.
    Von Fandorins Kaltblütigkeit war nichts übriggeblieben, er sah die schöne Frau zornig und verwirrt an. Der Japanerwar auch verdutzt, er drehte den geschorenen Schädel mal seinem Herrn, mal seiner Herrin zu und machte ein überaus dummes Gesicht.
    Nun, das ist eine Familienangelegenheit, da will ich mich nicht aufdrängen. Kommt ohne mich klar.
    In zwei Sätzen war der Dekorateur an dem Japaner vorbei, noch fünf Schritte bis zur rettenden Tür, und schießen konnte Fandorin nicht – wegen der Frau. Leben Sie wohl, Herrschaften!
    Ein schlanker Fuß in schwarzem Filzschuh schnellte vor und erwischte den Dekorateur am Knöchel, so daß er in vollem Lauf mit der Stirn gegen den Türrahmen knallte.
    Ein Schlag. Dunkelheit.
     
    Alles war bereit zur Eröffnung der Gerichtsverhandlung.
    Der Angeklagte, im Frauenkleid, aber ohne Hütchen, saß erschlafft in einem Sessel. Auf seiner Stirn prangte eine beeindruckende purpurrote Beule.
    Daneben stand, die Hände auf der Brust verschränkt, der Gerichtsdiener Masa.
    Zur Richterin hatte Fandorin Angelina bestimmt, die Rolle des Staatsanwalts behielt er sich selbst vor.
    Aber zuvor hatte es eine Auseinandersetzung gegeben.
    »Ich kann niemanden verurteilen«, sagte Angelina. »Dafür sind die Gerichte da, mögen die entscheiden, ob er schuldig ist oder nicht. Soll ihr Urteil gelten.«
    »Als ob es da ein U-Urteil

Weitere Kostenlose Bücher