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Schönheit der toten Mädchen

Schönheit der toten Mädchen

Titel: Schönheit der toten Mädchen
Autoren: B Akunin
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Untersuchungsführer Ishizyn legte dreizehn Leichen auf den Tisch, aber Sie präsentieren mir nur zehn Moskauer Morde. Und da zählen auch die mit, die erst nach dem ›Untersuchungsexperiment‹ gestorben sind, sonst wären es überhaupt nur vier. Sie bringen da was durcheinander, Herr Ankläger.«
    »Keineswegs.« Fandorin reagierte gelassen auf den unerwarteten Angriff. »Von den dreizehn exhumierten Leichen, die Verstümmelungen aufwiesen, waren nur vier unmittelbar am Tatort gefunden worden: Sotowa, Marja Kossaja, Andrejitschkina und das unbekannte Mädchen, wobei Sie die beiden Februar-Opfer nicht nach Ihrer Methode bearbeiten konnten – offensichtlich wurden Sie überrascht. Die übrigen neun Leichen, aufs grausigste verstümmelt, wurden aus namenlosen Gräbern geholt. Die Moskauer Polizei ist von Vollkommenheit natürlich weit entfernt, aber es ist ausgeschlossen, daß niemand bemerkt haben soll, wie ungeheuerlich die Körper verunstaltet waren. Bei uns in Rußland wird viel getötet, aber einfacher, ohne solche Phantasien. Darum war, als die zerstückelte Andrejitschkina gefunden wurde, die Aufregung gewaltig. Der Fall wurde sofort dem Generalgouverneur gemeldet, und Seine Erlaucht betraute den Beamten für besondere Aufträge mit der Ermittlung. Ich sage das ohne Prahlerei, aber der Fürst überträgt mir nur Fälle, die von außerordentlicher Bedeutung sind. Hier gab es fast ein Dutzend zerfetzter Leichen, und niemand soll Krach geschlagen haben? Ausgeschlossen.«
    »Eins verstehe ich nicht«, ließ sich zum erstenmal seit Beginn des »Prozesses« Angelina vernehmen. »Wer hat die Ärmsten dann so verstümmelt?«
    Fandorin freute sich über ihre Frage, denn hätte die »Richterin« weiterhin beharrlich geschwiegen, so wäre die Verhandlung sinnlos geworden.
    »Die ältesten Leichen stammen aus dem Novembergraben. Das bedeutet jedoch nicht, daß der Ripper schon im November nach Moskau kam.«
    »Na so was!« unterbrach der Angeklagte Fandorin. »Soweit ich mich erinnere, wurde der letzte Londoner Mord kurz vor Weihnachten verübt. Ich weiß nicht, ob es Ihnen gelingen wird, unsere bezaubernde Richterin davon zu überzeugen, daß ich die Moskauer Verbrechen begangen habe, aber es wird Ihnen keinesfalls gelingen, mich zum Ripper zu machen.«
    Über Fandorins Gesicht huschte ein eisiges Lächeln, dann wurde er wieder ernst und finster.
    »Ich verstehe den Sinn Ihrer Replik sehr gut. Die Moskauer Morde können Sie nicht abstreiten. Je mehr es sind, und je ungeheuerlicher und grauenhafter sie verübt wurden, desto besser für Sie – man wird Sie als Geisteskranken einstufen. Doch für die Londoner Abenteuer werden die Engländer Ihre Auslieferung verlangen, und die russische Themis wird sich mit dem größten Vergnügen des lästigen Irren entledigen. Sie werden nach Britannien gebracht, und dort herrscht Publizität, nicht unsere Geheimniskrämerei. Dort werden Sie, liebwerter Herr, am Galgen baumeln. Das möchten Sie nicht?« Fandorin senkte die Stimme um eine Oktave, es klang, als würde er selbst erdrosselt. »Die Londoner Morde werden Sie nicht los, machen Sie sich keine Hoffnungen. Und die angebliche Nichtübereinstimmung der Zeiten läßt sich leicht erklären. ›Der Wärter Pachomenko‹ ist kurz nach Neujahr auf dem Friedhof erschienen. Ich nehme an, daß SacharowSie untergebracht hat, aus alter Bekanntschaft. Wahrscheinlich sind Sie sich während seines letzten Besuchs in London begegnet. Von Ihren neuen Leidenschaften wußte Sacharow natürlich nichts. Er dachte, Sie wären einfach nur aus dem Gefängnis geflohen. Und wie konnte er einem alten, vom Schicksal benachteiligten Kameraden seine Hilfe verweigern. Nicht wahr?«
    Sozki antwortete nicht, hob nur die Schulter: Ich höre, fahren Sie fort.
    »War es Ihnen in London zu heiß geworden? War Ihnen die Polizei auf den Fersen? Na schön. Jedenfalls sind Sie in die Heimat zurückgekehrt. Ich weiß nicht, mit was für einem Paß Sie die Grenze überschritten haben, aber als Sie nach Moskau kamen, waren Sie bereits ein einfacher kleinrussischer Bauer, einer von den frommen Pilgern, wie es in Rußland so viele gibt. Darum haben wir in den Polizeilisten keinen Vermerk über Ihre Einreise gefunden. Sie haben eine Weile beim Friedhof gelebt, haben sich eingewöhnt, sich umgesehen. Sacharow hat sich offenbar aus Mitleid um Sie gekümmert, Ihnen mit Geld ausgeholfen. Sie haben sich ziemlich lange gehalten, ohne jemanden zu töten, länger als einen Monat.
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