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Schnitt: Psychothriller

Schnitt: Psychothriller

Titel: Schnitt: Psychothriller
Autoren: Marc Raabe
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Umklammerung und sackt nach Luft schnappend zu Boden.
    Ãœber ihm stöhnt Valerius, langgezogen, als hätte er einen quälenden Traum.
    Gabriel stemmt die Arme gegen den Boden und versucht, sich aufzurichten. Sein Gehirn schwimmt unter der Schädeldecke wie in einer Wasserblase, und er sieht alles doppelt. Valerius richtet sich gerade auf, mit einem tiefen kehligen Schrei. Er packt Liz’ Hand, auf der er gelegen hat, und verdreht sie. Liz schreit vor Schmerzen. Aus Valerius’ Bauch tropfen dicke rote Fäden zu Boden. Erst jetzt erkennt Gabriel den Gegenstand, den Valerius Liz aus der Hand wringen will – es ist das Messer, das Liz irgendwie in die Hand bekommen hat und in das Valerius mit dem Bauch voran gestolpert ist.
    Die Ketten klirren leise, als Liz das Messer vor Schmerzen neben sich fallen lässt. »Das Messer, Gabriel!«, schreit sie.
    Gabriel kommt schwankend auf die Beine, sieht, dass Valerius nach dem Messer greift, sieht, wie sich seine Finger um den Griff schließen und sein Arm sich hebt, um das Messer auf Liz herabzustoßen.
    Mit beiden Händen reißt Gabriel Valerius’ Arm zurück. Valerius schreit wütend auf, rudert wild, versucht, seinen Arm zu befreien, und sticht mit dem Messer um sich. Mit einem hässlichen Laut touchiert die Klinge den Stein neben Liz, dann schneidet sie durch die Luft. Gabriel greift mit einer Hand in Valerius’ Haare, um seinen Kopf zu packen, während die andere Hand immer noch versucht, den Arm mit dem Messer zu halten. Verzweifelt sucht Gabriel mit den Füßen nach einem festen Stand, dann tritt er in eine dunkle Lache und rutscht weg, die Hand immer noch in Valerius’ Haaren. Im Fallen spürt er einen dumpfen Schlag und hört ein knochentrockenes Knirschen, wie das Zertreten einer Walnuss, als Valerius mit dem Genick auf der Kante des Steinsargs aufschlägt.
    Von einem Augenblick auf den anderen ist jede Spannung aus Valerius’ Körper gewichen, und er sackt zu Boden. Das Messer schlägt klirrend auf den alten Fliesen auf. Aus Valerius’ Bauch quellen Gedärme, und um seine Körpermitte bildet sich ein rasch wachsender See aus Blut.
    Â»O Gott!«, keucht Liz. »Ist er … ist er tot?«
    Gabriel hievt sich am Steinsarkophag empor. Sein Atem rasselt. Er sieht sie an, und ausgerechnet jetzt wird ihm zum ersten Mal bewusst, dass ihre Augen dieselbe Farbe haben wie die seiner Mutter. »Ja. Ich denke schon.«
    Liz seufzt, sie will tief durchatmen, verschluckt sich und muss husten. Die Ketten um ihre Gelenke klirren. Dann beginnt sie, haltlos zu schluchzen.
    Gabriel bringt kein Wort hervor. Behutsam legt er seine rechte Hand auf ihren runden Bauch, als könnte er so spüren, ob unter der Bauchdecke alles in Ordnung ist. Rasch löst er die Verschlüsse der Metallmanschetten um Liz’ Gelenke, dann beugt er sich über sie und umarmt sie, spürt ihren Atem an seinem Hals, ihr Brustkorb hebt und senkt sich bebend, ihr Schluchzen zerrt an seinem Trommelfell, und der Duft von ihrem kalten Schweiß steigt ihm in die Nase, umhüllt ihn wie ein betörendes Parfüm, schöner als alles, was er je gerochen hat.
    Ich hab dich gefunden , jubelt es in ihm. Sein Brustkorb und seine Seele wollen platzen. Ich hab dich gefunden! Das ist alles, was er denken kann.
    Wie ein Mantra, immer und immer wieder.

Kapitel 56
    28. September, 08:29 Uhr
    David ist unfähig, sich in der schmalen Kammer zu rühren, und ringt mit der Fassung. Er starrt auf Liz und seinen Bruder, die sich direkt vor ihm umarmen. Gabriel in den Armen einer Frau! Erst jetzt begreift er, wie sehr Gabriel sie lieben muss, und er spürt ein unangenehmes Stechen in seiner Brust. Dennoch, die Vorstellung, dass sein Bruder überhaupt jemanden lieben kann, ist zutiefst beruhigend – und zugleich befremdlich.
    Er hört sich selbst atmen in dem engen Raum. Die Kamera vor ihm ist immer noch eingeschaltet, nur dass sie jetzt nicht mehr aufnimmt.
    Kein rotes Licht mehr.
    Auf dem ausgeklappten kleinen Farbdisplay an der Kamera liegen sich Gabriel und Liz in den Armen, Liz mit ihrem weißen pompösen Kleid, dessen grotesken Schlitz man im Augenblick nicht sehen kann. Es sieht fast irreal aus, irgendwie kitschig, wie ein perfektes Schlussbild, nur Valerius’ Leiche daneben ist zutiefst real, hässlich und viel zu nah, mit dem offenen Bauch und den herausquellenden Innereien. Die Blutlache hat
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