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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
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sich in einem Viertel am östlichen Stadtrand von Cannes und blickte auf den Strand. Er stieg in sein giftgrünes Floride-Kabrio, ein Peugeot-Modell von 1964, und ließ den Motor an.
    Der Boulevard du Midi war schwarz vor Menschen, und er fuhr gute zehn Minuten im Kreis, bis er den Wagen unter einem Schild mit dem Abschleppzeichen geparkt hatte. Bald darauf war er am Navigator, Gregs bevorzugtem Restaurant, angelangt, einem schicken Lokal mit zuvorkommender Bedienung und einer geschmacklosen gelb- und lachsfarbenen Dekoration.
    Greg stand neben seinem metallic-roten Jeep. Er steckte noch in seinem königsblauen Neoprenanzug, ein braun gebranntes Muskelpaket, das blonde, von der Sonne gebleichte Haar zu einem Pferdeschwanz gebundenen, und rollte das leuchtende Segel seines Surfbretts zusammen. Zwei junge Frauen auf mindestens fünfzehn Zentimeter hohen Plateausohlen, die Arme vor ihren Siebziger-Jahre-Bustiers verschränkt, sahen ihm zu.
    Chib schlenderte auf sie zu und musterte sie dabei eingehend. Die Große, um die dreißig, hatte struppiges rotes Haar und Piercings in Nase und Augenbrauen. Die Kleinere, ein Pummelchen mit großem Busen, hatte ihr platinblond gefärbtes Haar mit Plastikspangen gespickt, so dass es in Büscheln hochstand. Greg musste sie am Strand aufgegabelt haben, dachte Chib, während er ein höfliches »Salut« von sich gab.
    »Ah, da bist du ja!«, rief Greg, zog seinen Anzug aus und stellte stolz seinen Waschbrettbauch und seine Gewichtheberbrust zur Schau. »Also, Mädchen, das ist Chib.«
    »Chib?«, gluckste die Große. »Wie Kartoffelchip?«
    »Chib, wie Chibata, meine Schöne!«, verbesserte Greg und stieg in seine Liberty Jeans.
    Das Mädchen prustete erneut los, und Chib spürte, wie ihm die Röte bis an die Haarwurzeln schoss. Greg schlüpfte in seine abgetretenen Timberlands, streifte seinen senfgelben Marlboro-Pullover über, rief »Auf geht's!« und hakte sich bei beiden Mädchen unter.
    »Verdammt, willst du uns mit deiner Totengräber-Kluft den Abend verderben?«, raunte er ihm zu. »Warum ziehst du nie das Lacoste-Shirt an, das ich dir geschenkt habe?«
    Ein rosafarbenes Sweatshirt? Nein, danke. Chibs heimliches Wunschbild waren die fünfziger Jahre, der Black-Jazz. Er war Lester Young, und er schlief mit Billie Holiday, während er magische Solos in verrauchten Kneipen spielte, immer in Schwarz und Weiß, so wie auf den Fotos. Kein rosafarbenes Sweatshirt für Lester Young.
    Greg hatte den besten Tisch reserviert, in einer Ecke am Fenster mit Blick über die Motorhauben der am Bordstein parkenden Wagen hinweg aufs Meer - eine Palmengruppe und ein Stück vom Alten Hafen mit dem Palais des Congres.
    Die Große hieß Sophie, das Pummel chen Pam. Pam! Chib trank schweigend seinen Tomatensaft, während Greg einen seiner ewigen Witze erzählte. Chib hatte absichtlich einen Tomatensaft genommen, weil er wusste, dass es Greg ärgerte, der schon bei seinem zweiten Pastis war und die Mädchen drängte, noch etwas zu trinken, bevor die Meeresfrüchte kamen. Als wäre es heutzutage noch nötig, Frauen abzufüllen, um sie rumzukriegen. Als lebte man noch zu der Zeit, als drei schwarze Matrosen auf Sauftour die zwanzigjährige Ida Moreno vergewaltigt hatten, die sich nach ihrer Arbeit als Platzanweiserin in einem Kino hatte breitschlagen lassen, etwas mit ihnen zu trinken. Neun Monate später folgte die Geburt von Leonard Moreno, Väter unbekannt. Vorname Leonard Bernstein zu Ehren: Ida war begeisterte Musikfreundin und spielte Violine in einem kleinen lokalen Orchester. Der Name Chib entstand erst später, als er begonnen hatte, sich mit den Toten zu beschäftigen.
    Ein Kellner stellte eine riesige Platte mit Meeresfrüchten auf den Tisch, mit Austern, Venus-, Mies- und Herzmuscheln, mit Krebsen, Meeresspinnen, Seeigeln und Seegurken. Greg stürzte sich auf eine Seegurke, die Chib mit ihrem unbehaarten, glänzenden Äußeren an den welken Penis des alten Antoine di Fazio erinnerte.
    Pam und Sophie erzählten von ihrer Heimatstadt Metz. Sie waren im Zug hierher gekommen und wollten weiter bis nach Genua zu einer kleinen Tour an der Riviera. Greg spulte seine endlose Liste guter Adressen und guter Vorschläge herunter und zerteilte dabei seine Seegurke, die kleine Bläschen von sich gab wie ein Ertrinkender.
    Chib wählte ein paar nicht zu fette Austern, eine Krebsschere, drei Seeigel und beträufelte alles reichlich mit Zitronensaft. Er durfte sich nicht länger von Greg tyrannisieren lassen.
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