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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
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Leonard rieb sich vorsichtig den Nasenrücken. Und Madame hieß zu allem Überfluss Blanche .
    »Anna!«, schimpfte die Frau.
    Dann wandte sie sich wieder ihm zu und sagte: »Entschuldigen Sie die Kleine, aber sie ist im Augenblick völlig durcheinander.«
    »Klatsch, voll auf die Nase!«, brüllte Annabelle und drückte hektisch auf die Knöpfe ihres Gameboy, auf dem sich zwei Karatekämpfer krümmten.
    »Wir sind Freunde der Gräfin di Fazio«, fuhr Blanche fort.
    »Jean-Hugues, mein Mann, spielt - das heißt spielte - Golf mit Antoine.«
    »Ist Ihr Mann auch Reeder?«, fragte Chib.
    »Nein, er ist im Finanzgeschäft.«
    Geld, ein Haufen Geld in Aussicht.
    »Womit kann ich Ihnen dienen?«
    »Wumm, jetzt bist du tot!«, triumphierte Annabelle.
    »Leise, Cherie. Möchten Sie noch einen Kaffee?«
    »Gerne, danke.«
    Der Kellner stand schon neben ihr, bevor Chib geantwortet hatte. Sie bestellte zwei Kaffee und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihr leeres Glas Perrier.
    »Wir sind seit fünfzehn Jahren verheiratet. Wir hatten sechs Kinder. Wir sind katholisch«, fügte sie hinzu, als wäre das eine Rechtfertigung.
    Wie alt mochte sie sein? Schwer zu sagen bei diesen so sehr gepflegten Frauen. Auf alle Fälle noch keine vierzig. Er konnte sie sich eigentlich nicht mit sechs Bälgern am Rockzipfel vorstellen. Sie wühlte in ihrer Hermes-Tasche und zog ein Foto hervor.
    »Hier«, sagte sie.
    Vor blühenden, sauber gestutzten Rhododendronsträuchern stand die Familie Andrieu aufgereiht.
    »Das ist Jean-Hugues«, sagte sie.
    Der Vater, groß, schlank, hellblondes, kurz geschnittenes Haar, eckiges Kinn, blaue Augen mit stechendem Blick, in einem weißen Jogginganzug, der so sauber war, dass man davon geblendet war, an den Füßen Air Max Sphere. Er hielt ein etwa zweijähriges Mädchen auf dem Arm.
    »Eunice, unsere Jüngste«, erklärte sie.
    Neben dem Vater vier weitere Kinder, alle strohblond. Er erkannte Annabelle, die ans Hosenbein ihres Vaters geklammert war und Grimassen in Richtung Objektiv schnitt.
    »Und das ist Charles, unser Ältester«, fuhr die Madame Andrieu fort und deutete auf einen Heranwachsenden mit Bürstenschnitt.
    Auch er im Jogginganzug - dem gleichen wie Papa, dessen Doppelgänger er zu sein schien. Groß und stark, sehr blass, mit schmalen roten Lippen und traurigem Gesichtsausdruck.
    »Louis-Marie.« Sie zeigte auf einen anderen Jungen, sehr viel schmächtiger, marineblauer Blazer, das glatte Haar zurückgekämmt, verächtlich verzogener Mund, zwei Finger über dem Kopf eines kleinen Mädchens mit strahlendem Lächeln zum Victory-Zeichen geformt . »Und das, das ist sie, unsere kleine Elilou«, murmelte sie und wurde blass, »unsere ElisabethLouise.«
    Chib vertiefte sich in die Betrachtung des Fotos, um ihr Zeit zu geben, sich wieder zu fassen.
    Elisabeth-Louise. Die Kleine zeigte ein strahlendes Lächeln, das die Zahnspange zur Schau stellte, ihr langes blondes Haar wehte im Wind, ihr Gesicht war von Sommersprossen übersät . das Foto war eine perfekte Reklame für die vorbildliche Familie.
    »Mein Gott, wenn wir das geahnt hätten . «, fügte Blanche Andrieu seufzend hinzu.
    Sie hustete und fuhr fort: »Ich habe das Foto letzten Monat gemacht. Am siebzehnten März. Es war der Geburtstag von Louis-Marie.«
    Das war der Eingebildete im Blazer. Chib wollte ihr das Foto schon zurückgeben, als er bemerkte, dass der Älteste, Charles, selbst ein Foto in Richtung Kamera hielt, das einen kleinen Jungen in Windelhosen zeigte, blond gelockt, Grübchen. Sie fing seinen Blick auf.
    »Leon, unser Dritter. Er ist zweiundneunzig im Swimmingpool ertrunken, er war achtzehn Monate alt«, erklärte sie ruhig.
    Chib verschlug es fast den Atem, und er räusperte sich, bevor er fragte: »Was kann ich für Sie tun?«
    Sie sah ihm in die Augen.
    »Ich will Elilou bei uns behalten, Monsieur Moreno. Es kommt nicht in Frage, dass wir sie allein unter der Erde lassen wie ihren armen Bruder.«
    Der Kellner stellte zwei Tassen Espresso auf ihren Tisch und verschwand.
    »Wie denkt Ihr Mann darüber?«, fragte Chib und trank einen Schluck viel zu heißen Espresso.
    »Jean-Hugues ist natürlich einverstanden. Ich hätte einen solchen Schritt nie ohne sein Einverständnis unternommen. Ich bin es nicht gewöhnt, etwas ohne das Wissen meines Mannes zu tun.«
    Er beobachtete sie, während sie Zucker in ihren Espresso gab.
    Kleines goldenes Kreuz am Hals, sonst kein Schmuck außer dem Ehering, sehr wenig Make-up, katholisch bis in
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