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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
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57.
    Quietschend öffnete sich das Tor, und vor ihm stand eine junge Araberin, das lange schwarze Haar zu einem Knoten gebunden. Sie trug ein geblümtes ärmelloses Kleid, darüber eine blaue Schürze.
    »Monsieur Moreno?«, fragte sie und kniff die Augen zusammen.
    »Ja. Ich habe einen Termin mit Madame Andrieu de Glatigny«, sagte Chib.
    »Lassen Sie das Glatigny weg, sie legen keinen Wert drauf.«
    Das Mädchen trat zur Seite, um ihn hereinzulassen.
    »Sie werden im Wintergarten erwartet«, erklärte sie. »Wenn Sie bitte mitkommen wollen.«
    »Wohnen Sie hier?«, fragte Chib und folgte ihr den von blühendem Hibiskus gesäumten Weg.
    »Ich gehöre nicht zur Familie, wenn es das ist, was Sie wissen wollen«, entgegnete sie. »Ich heiße Aicha, ich bin das Dienstmädchen.«
    Eine ungestüme junge Stute, würde Greg sagen.
    »Sind sie sympathisch?«, fragte er und wäre beinahe über eine Wurzel gestolpert.
    »Schon okay. Sind Sie Arzt?«
    »Nein, warum?«
    »Oh! Ich dachte, Sie kämen ihretwegen, es geht ihr so schlecht!«
    »Wem?«
    »Madame Andrieu! Sie ist völlig kopflos und stopft sich mit Beruhigungsmitteln voll. Es ist schrecklich, das mit der Kleinen .«
    Ihre Stimme versagte.
    »Sie haben sie gern gehabt?«, wollte Chib wissen.
    Sie schnellte so heftig herum, dass er sie fast angerempelt hätte.
    »Ich weiß nicht, ob ich sie gern hatte oder nicht, darum geht es auch gar nicht, aber sie war noch so klein, ich hätte nicht gedacht, dass ein Kind so sterben kann .«
    »Sie hatten wohl auch einen Schock …«
    Aicha knackte mit den Fingergelenken. »Ich habe sie gefunden. Am Fuß der Treppe. Ich dachte, sie wäre ohnmächtig, ich wollte sie hochheben, aber ihr Kopf . ihr Kopf . er hat sich gedreht, so, von vorne nach hinten . ach, verdammt!«
    Ihr wurde übel, sie beugte sich vor und übergab sich. Chib hätte am liebsten die Flucht ergriffen.
    Er blickte auf und sah das Haus. Ein Landhaus aus dem achtzehnten Jahrhundert, aus dem weißen Stein von Les Beaux errichtet.
    An den rechten Gebäudeflügel grenzte ein Garten im italienischen Stil. Hinter einem uralten Eukalyptus sah man das Hellblau des Swimmingpools durchschimmern.
    Schmiedeeiserne Gartenmöbel vor den großen Terrassentüren. Ein Kinderfahrrad auf den Terracottafliesen. Ein Schaukelgerüst im Schatten einer Pinie. Im Hof, der mit Kies bedeckt war, zwei nebeneinander geparkte Wagen, ein bordeaufarbenes Chrysler-Sebring-Cabrio und der neue Jaguar Typ X, metallicgrau. Er strich bewundernd über die Karosserie. Aicha hatte sich wieder gefasst und führte ihn zu einem achteckigen Pavillon neben dem linken Gebäudeflügel.
    Sie stieß die Tür auf und verkündete: »Monsieur Moreno.«
    Vor einem Vorhang aus Riesenbambus saß Blanche Andrieu de Glatigny auf einem wassergrünen japanischen Stuhl; gegenüber zwei weitere Stühle und ein runder Tisch, darauf ein Teeservice aus dunklem Ton mit drei winzigen, dazu passenden Tassen. Ringsum standen Riesenkakteen und die verschiedensten tropischen Pflanzen. Eine Fülle von Farben und Düften, die, verstärkt durch eine Wand, über die Wasser rieselte, den Eindruck eines Miniaturdschungels vermittelten.
    Aicha verschwand, noch bevor die Herrin des Hauses ein Wort gesagt hatte. Die Hände in den Taschen vergraben, blieb Chib stehen.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie unvermittelt mit ihrer außergewöhnlichen Stimme. »Mein Mann wird gleich da sein.«
    Er nahm auf dem Stuhl Platz, den sie ihm gewiesen hatte, und strich über seine glatte gebogene Armlehne.
    »Grüner Tee«, kündigte sie an und füllte seine Puppentasse. Ihre Augen waren grau und ebenso undurchsichtig wie ein gefrorener See.
    Er nickte schweigend. Es roch nach nasser Erde, an den Fenstern blühten Azaleen in flammenden Farben.
    Das Geräusch von gedämpften Schritten. Chib wandte sich ein Stück um. Jean-Hugues stand neben ihm. Ein Meter fünfundachtzig, flacher Bauch, breite Schultern, blondes, gut geschnittenes Haar, marineblauer Anzug von Daniel Cremieux, hellgraues Hemd, Krawatte aus geflochtener Seide von Vuitton, schwarze glänzend geputzte Berluti, glatt rasiertes, klassisch schönes Gesicht. Kein Schmuck außer dem Ehering und der Moon Watch von Omega am linken Handgelenk. Chib trug seine Reverso Gran'Sport am rechten Handgelenk. Eine Gewohnheit aus seiner Kindheit.
    Er stand auf, schüttelte die ihm entgegengestreckte Hand. Eine kräftige Hand, frisch manikürt.
    »Meine Frau hat mir von Ihrer Begegnung berichtet.«
    Elegante Stimme.
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