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Mutiert

Mutiert

Titel: Mutiert
Autoren: Ulrich Hefner
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Mai 2007 , am Rio Jatapu, Amazonasgebiet, Brasilien
    Das Langboot glitt beinahe geräuschlos durch die schwarzen Fluten des Rio Jatapu. Die Nacht hatte sich über den Dschungel gesenkt, doch die Temperaturen lagen noch immer bei annähernd fünfundzwanzig Grad. Die Luft war feucht.
    Cardoso lag im Boot, schweißdurchtränkt sein fleckiges Hemd. Es schien, als hätten seine Eingeweide Feuer gefangen. Sein Atem ging flach, aber sein Herz raste.
    Vor sieben Tagen war er mit einer kleinen Gruppe aufgebrochen, um nach gut gewachsenen Harthölzern Ausschau zu halten, die geeignet waren, als Stützbalken für einen Türstock zu dienen und Tonnen von Gestein abzustützen. Fast vierzig Kilometer hatten sie zurückgelegt, bis sie auf eine Gruppe bester Rosenhölzer stießen, die nur unweit des Ufers standen und ihre gefiederten Blätter im leichten Wind hin und her wiegten. Dann war ein gewaltiger Sturm über sie hereingebrochen, der drei Tage lang anhielt und mit heftigen Regenfällen über dem Amazonasgebiet tobte.
    Zu siebt waren sie aufgebrochen. Vier Langboote, mit Proviant und Ausrüstung bestückt, hatten sich auf den Weg gemacht. Nun würde er alleine zurückkehren, keiner seiner Kameraden hatte überlebt. Unter Qualen waren sie gestorben. Mit letzter Kraft hatte sich Cardoso in eines der Boote geschleppt und die Leinen gekappt. Mit der Strömung hatte er sich treiben lassen, in der Hoffnung, er würde rechtzeitig auf Hilfe stoßen. Dann war er in eine tiefe Ohnmacht gesunken, aus der er erst wieder erwachte, nachdem sich die Dunkelheit über dem tropischen Regenwald ausgebreitet hatte.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war und wo er sich gerade befand. Er wusste noch nicht einmal, wie lange ihm noch blieb. Die Schreie einiger Brüllaffen hallten durch den Wald. Cardoso versuchte sich aufzurichten, doch er sank kraftlos zurück. Er schloss die Augen.
    Das zunehmende Glucksen und Plätschern verriet ihm, dass er sich wohl in der Nähe der kleinen Stromschnellen befand. Corrupira konnte nicht mehr weit sein. Zwar gab es dort keine Krankenstation und noch nicht einmal einen Arzt, aber José, der Wirt der kleinen Bar Da Penico, würde ihm schon helfen können. Er spürte, wie das Boot langsam Fahrt aufnahm. Das Plätschern wurde zu einem Rauschen, und das Boot begann auf und ab zu schaukeln. Doch diese Stromschnellen bargen keine Gefahr, dazu waren sie nicht stark genug.
    Gischt spritzte in das Boot und traf Cardoso im Gesicht. Das kalte Wasser tat gut auf seiner vom Fieber erhitzten Haut. Das Rauschen verebbte, und das Boot wurde langsamer. Erneut durchbrach der laute Schrei eines Brüllaffen die Stille. Langsam wurde es kühler, und das Leben im Wald erwachte. Cardoso griff sich an die Brust, das Brennen in seinem Körper wurde stärker, er schnappte nach Luft.
    Dann stieß das Boot gegen das Ufer und verkeilte sich in der Krone eines umgestürzten Baumes.
    *
    Da Penico hatte José seine kleine Bar in dem gottverlassenen Ort Corrupira mitten in den dichten Wäldern des Amazonas genannt, was übersetzt einfach nur die Kanne hieß.
    Corrupira war auf keiner Karte der Welt verzeichnet, und nur wenige wussten von der Existenz diesen kleinen Ortes, bestehend aus einfachen Hütten, einer Bar und einer getarnten Lagerhalle.
    Gold und Holz, darum drehte sich in dem kleinen Ort alles. Doch man fand keine Mine in der Nähe; es gab keine Holzlager, keine beladenen Lastwagen brausten durch den Ort. Es gab noch nicht einmal eine befahrbare Straße in dem kleinen Dorf am Rio Jatapu, einem Zufluss des Rio Uatumá, knapp hundert Kilometer nordöstlich von Itacoatiara.
    Es gab auch keinen Supermarkt, keine Kirche, keine Polizeistation und keinen Bürgermeister in dem Ort, den man Waldgeist nannte, denn der Ort war gänzlich illegal. Knapp siebzig Glücksritter bewohnten die Hütten, dazu kamen noch ein paar Prostituierte aus Manaus sowie José, der die Damen in seiner Bar beherbergte, für sie sorgte und am Ende noch ein paar Real nebenbei verdiente.
    Überall im Amazonasgebiet konnte man auf solche Camps stoßen; überall versteckten sich illegale Holzfäller, Goldsucher oder Diamantenschürfer vor den Behörden, um in der unwirtlichen Wildnis ihr Glück zu finden und den Regenwald immer weiter zurückzudrängen, bis bald nichts mehr davon vorhanden war. Die illegale Brandrodung schlug unübersehbare Wunden in den Urwald, und jedes Jahr fielen beinahe 30 000 Quadratkilometer dem heimlichen Treiben zum Opfer. Eine Fläche, nur
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