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Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
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die Fingerspitzen, die Fingernägel nicht zu lang, sorgfältig perlmuttfarben lackiert. Die Art von verklemmter Noblesse, die ihn auf die Palme brachte. Bis hin zu ihrem Hermes-Täschchen, auf das er am liebsten geschossen hätte. Ein sehr schlichtes Modell, Marke »Kolleg-Mappe«, das weit über zweitausend Euro gekostet haben dürfte.
    Und die Vorstellung, am Körper eines Kindes zu arbeiten, war ihm zuwider. Er würde einfach ablehnen.
    »Wo ist … Elilou zurzeit?«, hörte er sich trotzdem fragen.
    »Neben dem Landhaus gibt es eine kleine Kapelle«, erklärte sie. »Sie . sie hat uns vorgestern verlassen. Unser Hausarzt ist gekommen, er hat den . Tod . festgestellt .« »Fick dich ins Knie!«, rief die Kleine.
    »Annabelle! Dass ich so was nie mehr aus deinem Mund höre! Du bekommst Fernseh-Verbot für die ganze Woche.«
    Annabelle fing an zu heulen und hämmerte mit ihren kleinen Fäusten wütend auf die Armlehnen.
    »Entschuldigen Sie ihr Verhalten. Sie steht unter Schock, wie wir alle«, sagte Blanche, und ihre Lippen zitterten.
    Hübsche Lippen, fest und voll.
    Und die Leiche eines kleinen Mädchens in einer Kapelle. Ihm Blut und Eingeweide entnehmen. Diese tadellos gepflegte Frau, die ihren Kummer so kühl zum Ausdruck brachte.
    »Man braucht eine Genehmigung .«
    »Mein Mann hat sich darum gekümmert. Wir haben einen privaten Friedhof auf dem Anwesen«, erklärte sie, die Augen noch immer auf eine schmollende Annabelle geheftet, die aufgesprungen war.
    »Es ist ein kostspieliger Eingriff«, fügte Chib mit getragener Stimme hinzu.
    »Das spielt überhaupt keine Rolle. Ich will, dass unser Engel bei uns bleibt, ich will ihr kleines Gesicht sehen, ihre kleinen Hände berühren können .«
    Ihren kleinen kalten und steifen Körper. Der niemals wachsen wird. Der mit der Zeit weniger einem schlafenden Kind als der staubigen Hülle einer verschrumpelten Zwergin gleichen wird.
    »Dann also das Formalin-Verfahren?«, fragte Chib noch immer mit leiser Stimme, während Annabelle auf der Terrasse hinter einer Taube herlief. »Chemische Konservierung?«
    Blanche schien plötzliche Übelkeit zu unterdrücken, dann stimmte sie zu.
    »Etwas, das sie so lange wie möglich . lebendig bleiben lässt.«
    Ihre Stimme zitterte bei dem Wort »lebendig«. Chib nickte schweigend, dann meinte er: »Hören Sie, ich rate Ihnen, sich das noch einmal zu überlegen. Bis heute Abend. Und rufen Sie mich dann an.«
    »Ich bin nicht hier, um Ihren Rat einzuholen, Monsieur Moreno«, entgegnete sie und betonte jede Silbe einzeln, »sondern um Sie zu bitten, das zu tun, wofür man Sie gewöhnlich bezahlt, und zwar gut, wenn ich recht informiert bin.«
    Wie konnte sie es wagen, in diesem Ton mit ihm zu sprechen? Sollte sie ihre Tochter doch einäschern lassen! Er erhob sich mit der Absicht, ihr ein »Ich bin nicht ihr Diener« an den Kopf zu knallen, doch es kam nur ein äußerst höfliches »Ich bin nicht sicher, Ihren Auftrag annehmen zu können« aus seinem heuchlerischen Munde.
    Sie tauchte ihre großen grauen Augen in die seinen, er sah die kleinen Fältchen, die dunklen Ringe unter der leichten Tönungscreme, das kaum merkliche Zittern ihrer Lippen, die Ader, die an ihrer Schläfe pochte.
    »Bitte«, sagte sie. »Bitte.«
    Er seufzte, den Blick auf den Oleander geheftet, dessen Blüten in der Sonne leuchteten.
    »Wann kann ich bei Ihnen vorbeikommen?«
    »Kommen Sie um zwei Uhr. Wir erwarten Sie.«
    Die Straße schlängelte sich den Hang hinauf - Düfte von Harz, Lavendel und wildem Jasmin.
    Zweimal musste er seine Notizen zu Rate ziehen: nach dem Transformatorenhaus rechts abbiegen, dann die Erste links. Okay. Er schaltete in den zweiten Gang herunter, und die Reifen knirschten auf dem Kies. Er hatte das Verdeck geöffnet und bot sein Gesicht dem Wind und der Aprilsonne dar.
    Die Straße jetzt an einer alten efeubewachsenen Steinmauer entlang. Ein verrostetes Tor kam in Sicht, daneben ein brandneuer Briefkasten aus Edelstahl und ein automatisches Codeschloss.
    Er bremste, beugte sich heraus, um zu lesen. Auf dem Briefkasten ein einfaches Plastikschild: »Andrieu de Glatigny«. Hm, hm. Adlige. Wenig geneigt, ihre Herkunft zur Schau zu stellen. Er schaltete den Motor ab, stieg aus und streckte sich seufzend. Und weil es sein musste, drückte er auf den kupfernen Klingelknopf.
    Er wartete. Blätterrauschen. Der Wind war frischer geworden. In der Ferne war der dumpfe Rhythmus eines Baggers zu hören. Er sah auf die Uhr: 13 Uhr
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