Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneewittchens Tod

Schneewittchens Tod

Titel: Schneewittchens Tod
Autoren: Brigitte Aubert
Vom Netzwerk:
Er durfte nicht länger seine Abende damit verbringen, mit Gregs flüchtigen Eroberungen höfliche Konversation zu machen. Er war nicht Greg, er hatte nicht das vulgäre Charisma von Greg, er würde nie groß, blond, schön und blöd sein. Er war zu klein -ein Meter fünfundsechzig - zu dünn - nicht mal fünfundfünfzig Kilo - zu dunkel - wenn auch nicht richtig schwarz -, mit großen Husky-Augen, einem störenden Hellblau in seinem goldbraunen Gesicht. Die Augen von Ida. Einer seiner Vergewaltiger-Väter musste einen blauen Gameten gehabt haben. Ida hatte Anzeige erstatten wollen, die USS Constellation aber war schon wieder in See gestochen. Ein alter Polizist mit gelben Zähnen hatte ihr geraten, einen Schlussstrich zu ziehen. Sie sei noch jung, sie würde sich schon wieder fassen.
    Jung, ohne Familie, mit einem farbigen Bastard. Im Cannes der späten fünfziger Jahre war das nicht gerade ein idealer Ausgangspunkt für die soziale Integration. Ida hatte eine Bleibe gefunden - am Fuß der Altstadt, im Suquet, einem Altbau, dessen beide untere Stockwerke von Madame Hortense, der Mutter von Greg, bewohnt wurden. Sie war die Wirtin der berühmtesten »amerikanischen Bar« der Stadt, einem Club mit Hostessen, auf Wunsch auch mehr, dessen Schild stolz am Eingang zum Hafen prangte. Im dritten Stock logierte Monsieur El Ayache, der ein Zimmer seiner Wohnung als Werkstatt nutzte, in dem er dem Beruf eines Tierausstopfers nachging, wie man damals noch sagte.
    »Rot oder weiß?«
    »Hm?«
    Greg deutete auf zwei Flaschen Sancerre. In seine Erinnerungen vertieft, entschied sich Chib aufs Geratewohl für den Roten. Sophie aß ihre Austern mit einem begeisterten Schlürfen, Pam schlug sich mit ihrer Meeresspinne herum. Greg reihte eine Anekdote an die andere, brachte die Mädchen zum Lachen, wie immer mit ungeheurer Lässigkeit, so, als steckte seine Platin-Kreditkarte zwischen seinen Zähnen und garantierte ihm ein ewiges Lächeln.
    Es dauerte nicht lange, und der kleine Leonard verbrachte seine Abende bei dem alten Ägypter, der ihn in seine Kunst einweihte. Er war begabt, er lernte schnell, und ihm gefiel diese Tätigkeit. Als er zwölf Jahre war, hatte El Ayache ihm ein sehr altes, ledergebundenes und handgenähtes Buch anvertraut, das voller unverständlicher Zeichen war. Farid El Ayache gehöre der Bruderschaft der Mysterien an und sei einer der letzten Nachfahren der Einbalsamier-Priester, hatte er dem verdutzten Jungen noch mitgeteilt. Er hatte Krebs, er würde sterben und wollte Leonard seine Geheimnisse anvertrauen, damit dieser die tausendjährige Fackel übernahm.
    Es war wie ein Märchen, ein Fantasy-Roman, dessen Held plötzlich Leonard war. Er hatte das Angebot natürlich angenommen und absolute Verschwiegenheit gelobt, indem er die Haut seines Bauches durch zwölf Schnitte mit dem Silexmesser opferte. Dann hatte er den Sud aus Kräutern und Lurchblut getrunken, sich mit Myrrhe und Essenzen salben lassen und war zwei Jahre später, nach dem Tod von Monsieur Al Ayache, offiziell - und insgeheim - großer EinbalsamierPriester, Meister der Mysterien und Vertreter des Amon-Re-Ordens für die ganze Cöte d'Azur geworden.
    Mit vierzehn fand er das gar nicht übel, leider aber reichte es nicht aus, um sich die dreckigen Rassistenschweine in der Schule vom Hals zu halten. Greg konnte das sehr viel wirkungsvoller, und er musste als Gegenleistung nur seine Hausaufgaben machen.
    »Können Sie mir das aufmachen?«
    »Hm?«
    Pam hielt ihm ein widerspenstiges, spitzes Bein hin. Chib steckte es in die Metallzange, ließ es krachen und legte das weiße saftige Fleisch frei.
    »Was machen Sie beruflich?«, Pam biss in ihre Spinne.
    »Ich habe einen kleinen Taxidermie-Laden«, antwortete Chib und schenkte ihr Weißwein ein.
    »Er beschäftigt sich mit Tieren«, fiel ihm Greg ins Wort. »Er ist Präparator.«
    »Ah!«, rief Pam aus. »Ich liebe Tiere!«
    »Er auch … was, Chib? Er hat ein Herz für Tiere.«
    Chib kam sich lächerlich vor. Pam fing an, von Greenpeace zu reden, dann vom Tankerunglück vor den Küsten der Bretagne, vom Teer im Gefieder der Vögel. Chib dachte an den Teer in Antoine di Fazios Körper. Die Gräfin hatte einen Sarkophag mit Feingoldüberzug für seine sterbliche Hülle anfertigen lassen.
    »Gehen wir tanzen?«, schlug Greg vor und bat um die Rechnung. »Ich kenne einen echt coolen Klub. Der Besitzer ist ein guter Freund. Beim Festival gehen dort alle Stars hin.«
    Sophie und Pam tauschten einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher