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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Sandra Gladow
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nacheinander die Hand.
    »Das Kind hat eben Menschenkenntnis«, bemerkte Bendt grinsend und kassierte dafür einen leichten Seitenhieb seines Vorgesetzten mit dem Ellbogen.
    »Aua, das ist Körperverletzung«, rügte er und drückte erst Emily, die sich wie ein kleines Äffchen an ihrer Mutter festklammerte und offensichtlich schämte, und dann Anna zum Abschied einen Kuss auf die Wange.
    Als Anna die Kommissare vor sich auf der Treppe stehen sah, stellte sie mal wieder fest, welch ungleiches Paar die beiden nebeneinander abgaben. Denn Bendt, der im Gegensatzzu Braun regelmäßig Sport trieb und zudem ungleich schlanker und jünger war als sein Chef, überragte ihn auch noch um eine gute Kopflänge.
    »Ich hoffe, Sie sind mir nicht allzu böse, Frau Lorenz, dass ich Ihnen Ihren Freund heute am Samstag entführen muss, aber Sie kennen das ja. Ein Notfall.«
    Anna maß Braun mit einem vorwurfsvollen Blick und versuchte, in seinen freundlichen Augen zu ergründen, ob er Bendt einen Gefallen getan und ganz bewusst durch seine Diensteinteilungen die unliebsame Verabredung mit ihren Eltern erspart hatte. Die Tatsache, dass der nette Hauptkommissar durch die Festlegung der Diensttage auch seiner Frau Gisela gern mal einen Strich durch die Rechnung machte, war jedenfalls ein Indiz dafür. Anna unterließ es für den Moment, ihrem Verdacht, Braun stecke mit Bendt unter einer Decke, auf den Grund zu gehen. Sie blickte ihnen nach, als sie zum Auto gingen, und war fast sicher, dass ihr Freund an diesem Abend erst sehr spät heimkommen würde.

2
    Von Annas Haus in der gepflegten kleinen Wohnstraße in St. Gertrud war es nur ein Katzensprung zum Tatort. Braun nahm den kürzesten Weg, der sie über die Wakenitzbrücke die Wahnstraße hinauf, direkt in die belebte Innenstadt führte. Die Dunkelheit war bereits angebrochen, es schneite ein wenig, wodurch die Straßen angesichts der Kälte gefährlich glatt waren. Dennoch benötigte Braun keine fünf Minuten, bis er die Königstraße erreichte. Staatsanwältin Lorenz, die er dienstlich aus der Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft schon lange kannte und schätzte, hatte er deutlich ansehen können, dass sie über Bendts Diensteinsatz nicht eben begeistert gewesen war. Er unterließ es aber, seinen Kollegen darauf anzusprechen. Braun manövrierte den zivilen Einsatzwagen im Schritttempo durch die schmale Einbahnstraße auf den Absperrbereich vor der Unglücksstelle heran. Schon von weitem konnte er erkennen, dass sich vor dem Unglücksort eine dicke Traube von Menschen versammelt hatte, die in der Hoffnung, einen Blick auf das Opfer zu erhaschen, dicht gedrängt am Absperrgitter standen. Die Spurensicherung war bereits in vollem Gange.
    »Das kann doch wirklich nicht wahr sein! Warum nehmen wir eigentlich keinen Eintritt?«, schnaubte Bendt, der auf dem Beifahrersitz saß und sich aufregte, weil die Passanten die Straße kreuzten, als handele es sich um den Gehweg. Die Tatsache, dass Braun das Blaulicht auf den zivilenEinsatzwagen aufgesetzt hatte, schien die Leute kaum zu beeindrucken. »Die können hier doch nicht in aller Ruhe auf der Straße rumlatschen.« Bendt hatte es kaum ausgesprochen, als Braun den Wagen auch schon abrupt abbremsen musste, weil ein Mann in Höhe des Beifahrerfensters beinahe in sein Auto gelaufen wäre.
    »Vorsicht Mensch, und guck verdammt noch mal, wo du hinläufst«, rief Bendt und klopfte zugleich gegen das Fenster, durch das ihn ein mit einer roten Bommelmütze bekleideter Kerl mit weit aufgerissenen Augen und hochrotem Kopf anstarrte. Der Mann riss in einer entschuldigenden Geste die Arme hoch und suchte das Weite.
    »Mach mal das Martinshorn an, Chef, und ein bisschen Alarm.«
    »Reg dich doch nicht gleich so auf«, sagte Braun und blickte kopfschüttelnd zu seinem Kollegen hinüber. »Wir sind doch schon da.« Braun fuhr nur noch wenige Meter weiter und stellte den Wagen dann auch schon am Straßenrand ab. Der Tatort lag tatsächlich nicht weit vom Kohlmarkt entfernt, auf den die Königstraße mündete und wo der Lübecker Weihnachtsmarkt – wie auch auf dem Koberg und dem Marktplatz – stattfand. Braun atmete die kalte Winterluft ein und meinte sofort den Duft von Bratwurst, gebrannten Mandeln und Schmalzgebäck in der Nase zu haben.
    »Wenn wir hier fertig sind, gehen wir gleich noch was essen, oder?«, fragte der Hauptkommissar, der sogleich einen Anflug von Appetit verspürte, den er sich generell durch kein Verbrechen der Welt verderben
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