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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Sandra Gladow
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so wie er hier hockte, kaum seinen Allerwertesten, weshalb er vorerst wieder aufstand.
    Fischer ließ sich Zeit mit einer Antwort. Er streifte erst seine Gummihandschuhe ab und warf sie neben den Koffer. Dann kramte er umständlich ein Taschentuch hervor und putzte sich lautstark und ausgiebig die Nase.
    »Sagen wir mal so, sie hatte weder ein Messer im Rücken, als sie hier aufgeschlagen ist, noch war ihr Körper von Kugeln durchsiebt. Spricht also für den Moment einiges für ein Schädelhirntrauma infolge des Sturzes. Ob wir darüber hinaus Hinweise finden, dass ihr jemand behilflich war und ihrden kürzesten Weg nach unten gezeigt hat, weiß ich ohne verlässliche Untersuchung in der Rechtsmedizin noch nicht.« Braun lachte bitter auf. Ein gesunder Zynismus machte den Berufsalltag auch für ihn manchmal eine Spur erträglicher, allerdings verstand Fischer es immer wieder, ihn zu toppen.
    »Abschiedsbrief oder Ähnliches?«, wollte Braun wissen.
    »Fehlanzeige – jedenfalls nicht hier vor Ort.«
    Braun maß die breite Fassade des Lübecker Stadthauses ab und musste ein paar Schneeflocken wegblinzeln, während sein Blick zu den oberen schmalen Balkonen wanderte. Das gepflegte Haus wurde ganz offenbar wie viele der Häuser in dieser Straße teilgewerblich genutzt. Denn die Dekoration in den Fenstern sowie die Beleuchtung der oberen Stockwerke ließen unzweifelhaft darauf schließen, dass sich dort Wohnungen befanden. Die Wohnung, die zu dem Balkon gehörte, von der die Tote ganz offenbar gesprungen war, schien Braun dagegen unbewohnt zu sein. Denn am Geländer, wo die Kollegen von der Spurensicherung gerade dabei waren, Fingerabdrücke zu sichern und nach weiteren Hinweisen für ein Verbrechen zu suchen, war weder eine Weihnachtsbeleuchtung angebracht worden noch fanden sich sonst irgendwelche Gardinen oder Accessoires in den Fenstern, die auf einen bewohnten Zustand hindeuteten. Er formte seine rechte Hand zu einem Schirm und legte sie an seine Brauen, um den für ihn wichtigen Balkon besser sehen zu können. Brauns Blick blieb im ersten Stockwerk an einer dreidimensionalen Weihnachtsmannfigur hängen, die aussah, als ob sie die Fassade hinaufklettern würde und an der das Opfer unmittelbar vorbeigestürzt sein musste.
    »Schade«, sagte Braun. »Sieht nicht so aus, als ob dortoben jemand gewohnt hat. Dabei wäre mir das Liebste gewesen, sie wäre beim Anbringen ihrer Weihnachtsbeleuchtung oder Ähnlichem von der Leiter gefallen, und wir hätten es mit einem Unfall zu tun.«
    »Glaub mir, wenn das so einfach wäre, dann läge ich jetzt schon wieder in meinem warmen Bett«, entgegnete Fischer und folgte Brauns Blick zum Balkon hinauf. Bendt, der sich nach oben begeben hatte, um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, lehnte inzwischen auch mit einem Schutzanzug bekleidet gefährlich weit über das Geländer.
    »Weißt du von Zeugen?«, fragte Braun. Fischer schüttelte den Kopf.
    »Für den baldigen Absturz deines geschätzten Kollegen schon«, sagte Fischer trocken. »Für meine Patientin da drüben bis dato nicht.«
    Braun zog die Stirn in Falten und schaute die Straße entlang. Wie wahrscheinlich mochte es sein, dass sich dort oben ein Streit abgespielt hatte, der von den Passanten aufgrund des weihnachtlichen Trubels und Stimmengewirrs unbemerkt geblieben war? Besonders viel wusste Braun für den Moment nicht. Sicher ausschließen ließ sich bisher lediglich, dass sich dort oben beim Adventskaffeetrinken ein Familiendrama abgespielt hatte.
    »Willst du sie dir jetzt mal ansehen?«, fragte Fischer.
    »Muss ich wohl«, gab Braun wenig begeistert zurück und trat gleichzeitig mit Fischer an das Opfer heran, nachdem auch er sich Gummihandschuhe und einen Mundschutz übergezogen hatte. Bevor er die Plane hochhob, zögerte er einen Moment.
    »Papiere hat sie dankenswerterweise bei sich gehabt, stimmt’s? Hat man mir jedenfalls telefonisch so mitgeteilt.«
    »Ja, und das Passbild stimmt auch mit der Person hier unten überein«, bestätigte Fischer. »Sie hat übrigens insgesamt eine gut sortierte Handtasche bei sich getragen. Ihr Geld, ihre EC-Karte und alles, was einen Räuber sonst noch so interessieren könnte, liegen hier unten.«
    Braun nickte und hob die Plane, während er sich vor das Opfer kniete, um besser sehen zu können. Der Hauptkommissar hatte schon viele Leichen gesehen und gelernt, das, was er vor sich hatte, sachlich zu betrachten und seine Emotionen zurückzudrängen. Das Opfer war seitlich
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