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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben
Autoren: Sandra Gladow
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umbringen kann.« Obwohl Hanna flüsterte, hallten ihre Worte dumpf und laut in Carlas Kopf wider. Erstmals wurde ihr bewusst, dass nicht nur Hannas Leben in Gefahr war.
    »Die nehme ich«, sagte Carla, griff blitzschnell nach derWaffe und huschte, noch bevor Hanna protestieren konnte, aus ihrem Bett zur Tür hinüber. Es war empfindlich kalt in dieser Nacht, und Carla fröstelte. Zögerlich folgte ihr Hanna auf den nur schwach beleuchteten Flur.
    »Ich gehe besser vor, du bist viel zu nervös!«, erklärte Carla und schlich ihrer Schwester voraus auf Zehenspitzen über den Pitchpineboden auf die breite Treppe des Gutshauses zu, die nach unten in die Halle führte. Hanna blieb ganz dicht hinter ihr und klammerte sich am Saum ihres Schlafanzuges fest. Jedes Mal, wenn eine der alten Dielen der Treppe unter ihren nackten Füßen knarrte, blieb Hanna wie angewurzelt stehen.
    Smilla lag zusammengerollt und reglos in ihrem Hundekorb vor der Haustür.
    »Siehst du, sie schläft, hier ist nichts«, stellte Carla fest.
    »Vielleicht ist sie tot«, mutmaßte Hanna und fuhr gleichzeitig zusammen, als Smilla den Kopf hob und sie aus ihren treuen schwarzen Labradoraugen müde anblickte. Carla trat an die Haustür heran und drückte lautlos die Klinke herunter. Der Schließbolzen saß fest in seiner Verankerung.
    »Siehst du, alles zu. Und Smilla geht es auch gut.« Sie gingen weiter zur Küche. Drinnen war es stockdunkel.
    »Mach auf keinen Fall das große Licht an«, flüsterte Hanna. »Nimm die Taschenlampe.«
    Carla setzte ihren Fuß über die Schwelle, und Hanna schrie laut auf, als etwas über den Boden der Fliesen schrammte und mit einem vernehmlichen »Klong« irgendwo im Raum von einem der Küchenschränke gebremst wurde.
    »Nur Smillas Hundeknochen«, zischte Carla und rieb sich den schmerzenden großen Zeh, bevor sie sich zum Küchenschrank vortastete und die Taschenlampe herausfischte. Im zuckenden Schein der Lampe, die gespenstische Schatten andie Wände warf, schlichen sie weiter. Mit Ausnahme des monotonen Tickens der Wanduhr war kein Laut zu hören. Als der Lichtkegel den großen goldumrahmten Spiegel im Esszimmer streifte, fuhr auch Carla der Schreck in die Glieder. Denn für den Bruchteil einer Sekunde glaubte auch sie, jemand anderem als ihrem eigenen Spiegelbild gegenüberzustehen. Sie erreichten die Veranda, und Carla leuchtete das schneebedeckte Glasdach und die breite Terrassenfront ab. Nichts mit Ausnahme einiger winzig kleiner Abdrücke wies darauf hin, dass ein anderes Lebewesen als ein Vogel oder eine Maus sich hier vor der Tür aufgehalten und seine Spuren hinterlassen hatte.
    »Es ist drei Uhr morgens, Hanna, bitte lass uns schlafen gehen«, sagte Carla gähnend, als sie ihren Rundgang im Erdgeschoss endlich beendet hatten. »Ich bin wirklich hundemüde.«
    Sie war schon auf der Treppe, als Hanna sie am Saum ihres Schlafanzuges zurückzog. Beim Anblick der angstgeweiteten Augen ihrer Zwillingsschwester wurde Carla ganz schlecht. Ganz langsam hob Hanna ihren Arm und deutete mit ihrer zitternden Hand auf die Tür der Gästetoilette, die nur angelehnt war.
    »Was ist?«
    »Die Tür!«, hauchte Hanna. »Sie war vorhin nicht angelehnt, sie war zu.«
    »Ach wirklich, Hanna, das bildest du dir nur ein. Wie sollte denn durch das kleine verriegelte Fenster überhaupt jemand ins Haus kommen?«
    »Doch, er ist hier, ich kann es spüren. Er ist bestimmt da drin.«
    Carla zögerte keinen Augenblick. Schnellen Schrittes liefsie zur Toilettentür hinüber, riss sie auf und schaltete das Oberlicht an.
    »Siehst du, kein Mensch da drin«, sagte sie und knipste das Licht wieder aus.
    »Ich möchte jetzt wirklich schlafen, Hanna.«
    Hanna stand wie erstarrt am Treppenabsatz und presste sich eine Hand vor den Mund.
    »Hast du nicht gehört, es ist alles in Ordnung.«
    Wie in Zeitlupe löste Hanna ihre Hand von ihren Lippen. Es fiel ihr sichtlich schwer, einen Ton herauszubringen.
    »Carla«, krächzte sie heiser, »Carla, er ist direkt hinter dir, und er hat ein Messer in der Hand.«

1
    Anna stellte den Gebäckteller in der Mitte des Tisches neben dem Adventskranz ab, strich noch einmal die weiße Tischdecke auf dem massiven Holztisch glatt und begann, das bereitgestellte Kaffeegeschirr und Besteck zu verteilen. Das ganze Haus und der durch die Terrassenfront einsehbare Garten waren weihnachtlich geschmückt. Auf den Fensterbänken und dem alten Sekretär funkelten mit Lichterketten und Schmuck dekorierte
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