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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben
Autoren: Anne Chaplet
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auf den Tisch brachte, das gefiel ihr nicht.
    »Dann verhungert sie eben!« sagte Bremer, wenn Marianne sich wieder einmal darüber beschwerte, daß Tamara nichts aß, keine Frikadellen, keine Schweinekoteletts, keinen Rosenkohl und keine Torte. Tamara war, natürlich, dünn wie ein Bleistift und wollte Model werden. Was sonst.
    »Und sie hat auch nicht angerufen.« Marianne sah aus, als ob das besonders besorgniserregend wäre.
    »Seit gestern abend? Und da regt ihr euch schon auf?« flüsterte Bremer zurück. Tamara tat, was sie wollte. Wahrscheinlich hockte sie bei irgendeiner Freundin und probierte die Lippenstifte aus der Kosmetiktasche der Mutter aus.
    »Und die Polizei tut nichts!« Marianne machte große, vorwurfsvolle Augen. »Es ist noch zu früh, hat Walter gesagt!«
    Bremer gab dem Revierleiter von Bad Moosbach recht.
    »Aber unsere Männer gehen jetzt raus! Alles wird durchgekämmt!«
    »Unsere Männer« wirkten keineswegs überzeugt vom Sinn des Ganzen. Doch wenn die Heldinnen von Klein-Roda, seine Mütter, etwas wollten, dann parierte man. Und wenn es um Kinder ging…
    Werner ergriff das Wort, der Fähnleinführer der Freiwilligen Feuerwehr von Groß-Roda, ein Mann mit tiefer Stimme und nicht dazu passendem Ziegenbärtchen.
    »Wir gehen durch den Wald hinter Klein-Roda über die Eulenhof-Wiese bis hinunter zur Flußaue und dann wieder hoch nach Groß-Roda!«
    Bremer blinzelte in den Himmel. Es sah aus, als würde es gleich wieder schneien. Die jungen Männer traten unruhig von einem Fuß auf den anderen, der Mann von Katja – oder war es der von Annamaria? – schlug die Hände in den dicken Handschuhen gegeneinander, Christines Jan machte Lockerungsübungen.
    »Das bringt doch nix!« Gottfried hatte sich neben Bremer eingefunden und schüttelte den Kopf. »Nachts hat es geschneit. Wenn ihr gestern abend etwas passiert ist, dann wird man keine Spuren mehr finden.«
    »Und wenn ihr heute jemand etwas getan hätte, dann wäre er schön dumm, wenn er uns eine Fährte durch den Schnee gelegt hätte.«
    Gottfried nickte. »Wenn überhaupt, dann muß man beim Loch suchen. Oder – im Tunnel.«
    Das »Loch« war ein stacheldrahtumzäuntes Grundstück jenseits der Landstraße, in der Mitte ein Tümpel, umgeben von Tannen und anderen Nadelbäumen. Nur im Winter konnte man die Hütte erkennen und den großen Holzstapel davor und die Solarzelle auf dem Dach. Manchmal stieg Rauch auf aus dem Schornstein. Aber nie sah man jemanden. Ein Jäger aus Recklinghausen übernachte hier ab und an, hatte Wilhelm, der Ortsvorsteher, mal behauptet. Marianne bezweifelte das. Und was Marianne nicht wußte, das wußte auch kein anderer, vor allem nicht besser. Und der Tunnel…
    Gottfried stieß ihm den Ellenbogen in die Seite und hob die Augenbrauen. Bremer sah ihm an, daß er die ganze Aktion für idiotisch hielt. Aber wenn es die Weiber beruhigte! »Besser, wir lassen die grünen Jungs nicht allein«, flüsterte er. Der Nachbar sah wetterfest aus, hatte den Hund bei Fuß und schien zu allem entschlossen. Bremer lief ins Haus und holte Fellmütze und Taschenlampe. Dann ging es los.
    Mit fast militärischer Präzision bildeten die Männer eine lange Linie, die über die Anhöhe hinter Klein-Roda durchs Wäldchen schwenkte. Eine Weile hörte man nur das Knirschen schwerer Stiefel auf dem Schnee, das Knistern der Regenjacken, Atmen, Husten, Schneuzen. Einer murmelte etwas vor sich hin, das wie »Schwachsinn!« und »Weiber!« klang.
    »Rechtzeitig eine hinter die Ohren, das hätte geholfen«, sagte Gottfried neben ihm. Bremer sah ihn von der Seite an. Der alte Herr würde dem kleinen Biest Tammy noch nicht einmal ein Härchen krümmen.
    »Und wo ist die Olle von der Tammy?« rief Zafer halblaut.
    »Beim Shoppen!« tönte es zurück.
    »Stimmt nicht«, flüsterte Gottfried. »Sie war bei Marianne. Und die hat es der Frau von Werner erzählt. Und die…« Hatte bei ihrem Mann auf die Tränendrüse gedrückt. Und der erinnerte die Jungmänner des Dorfes an ihre Beschützerrolle. Und jetzt…
    Wahrscheinlich war Tamara längst zu Hause. Und wenn ihr wirklich etwas passiert war? Bremer dachte an den Fall Vanessa. An die Entführung und Ermordung der kleinen Manuela. Fälle, die den Landkreis monatelang beschäftigt hatten, Fälle, die allen Eltern hier ins Gedächtnis gegraben waren.
    »Alle kastrieren«, sagte eine Stimme neben ihm. »Die Schweine. Und dann lebenslänglich. Wegschließen, für immer.« Jens sprach mit einer Wut, die
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