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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse
Autoren: Gaby Hoffmann
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Bogdanovic
     
    „Also, wann haben Sie Ihre Tochter zuletzt gesehen?“
    „Sie müssen sie unbedingt finden. Bitte, ja? Versprechen Sie mir, dass Sie die gesamte Polizei mobilisieren. Am besten alle Leute zwischen Boston und New York. Sie ist bestimmt nicht mehr in Maryville. Oh, mein Lämmchen ...“ Eine Frau im weißen Kostüm krallte ihre spitzen, langen Fingernägel in Detective Bogdanovics Unterarm. Die Armreifen an ihrem dünnen Handgelenk klirrten. Die Frau war zwar damenhaft gekleidet, glich aber trotzdem keiner Dame. Der Rock war einen Tick zu kurz und zu eng. Die Fingernägel zu rot lackiert. Die Dauerwelle ihrer durchgestuften, braunen Haare zu stark. 
    Detective Bogdanovic entfernte vorsichtig die Krallen der Frau aus seinem Unterarm. Seufzend blickte er auf die Spuren, die sie hinterlassen hatte und langte mit der anderen Hand heimlich in seine Tüte Gummibärchen.
    Aber ehe er sich noch einen seiner kleinen Seelentröster in den Mund schieben konnte, klopfte seine Assistentin Jane energisch mit einem Bleistift auf den Tisch und wiederholte ihre Frage eine Spur schärfer: „Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal gesehen?“ Bevor die Frau wieder ihre Krallen ausfahren konnte, sagte sie eindringlich: „Wenn wir Ihre Tochter finden sollen, müssen Sie uns helfen. Wann?“
    Die Frau sank auf ihren Stuhl zurück: „Ach, vor zwei oder drei Jahren ...“
    „Vor zwei oder drei Jahren?“
    „Ja, so genau weiß ich das nicht!“
    „Wir müssen es aber exakt wissen. Wo hat Ihre Tochter damals gelebt?“
    „Na, sie wohnte bei diesen Leuten, die das Amt ausgesucht hat.“
    „Ihre Tochter ist in einer Pflegefamilie aufgewachsen?“
    Etwas verlegen zog die Frau an ihrem Rock, der trotzdem oberhalb ihrer dünnen Knie kleben blieb. „Ich war doch eine ganze Zeit aus dem Verkehr gezogen. Dahin konnte die Kleine nicht mit.“
    Detective Bogdanovic hatte inzwischen längst die Personalien der Frau checken lassen. Ein Mitarbeiter schob ihm die ausgedruckten Seiten hin: „Lou Watson, 42 Jahre alt, mehrfach vorbestraft wegen unerlaubter Prostitution, Hehlerei und Scheckfälschung.“
    Dies waren die Seiten, die Detective Zoltan Bogdanovic an seinem Beruf hasste: Fälle, für die es keine vernünftigen Anhaltspunkte gab, die ihm so vor die Füße geschleudert wurden – ohne Anker. Bei diesen Gedanken bewegte er vorsichtig seinen rechten Fuß in dem engen Lederslipper auf und ab. Schmerzhaft verzog er die Mundwinkel nach unten. Oh, dieses Fußgefängnis! Gleich nachher würde er barfuß durch seinen kleinen Garten an den Strand laufen und seine geschundenen Füße im Meer kühlen. Er blähte gierig die Nasenflügel auf, als könnte er die salzige Seeluft bereits einatmen.
    Stattdessen fuhr ihm eine Prise von Lou Watsons süßlichem Parfüm in die Nase. Pappig und schwer wie diese Vermisstenanzeigen von jungen Mädchen, die in letzter Zeit gehäuft eingingen.
    „Ihre Tochter heißt Cindy und müsste jetzt 17 Jahre alt sein“, wiederholte Jane die Angaben, die die Frau am Anfang des Gesprächs gemacht hatte, „wie kommen Sie darauf, dass Ihre Tochter verschwunden ist?“
    „Sie ist entführt worden. Ganz sicher!“, aufgeregt fuhr Lou Watson wieder ihre Fingernägel bedrohlich in Richtung Bogdanovic aus, der diesmal sofort reagierte und seinen Arm wegzog, „die Familie, bei der Cindy wohnte, ist nach Los Angeles gezogen. Ich habe mit ihnen telefoniert, sie behaupteten, Cindy habe sich bei ihnen nicht mehr wohlgefühlt und sei deswegen in eine neue Pflegefamilie gekommen. Wissen Sie, Cindy ist sehr temperamentvoll. Das hat sie von mir. Es gab wohl einige Meinungsverschiedenheiten ...“
    „Ja, ja. Und was ist mit der neuen Pflegefamilie?“, Jane trommelte wieder ungeduldig auf den Tisch.
    „Die vom Amt wussten nichts von einer neuen Pflegefamilie. Sie glaubten, Cindy wäre mit nach Los Angeles gezogen. Von da verliert sich ihre Spur. Sie ist nirgendwo gemeldet. Mein armes Lämmchen ist verschwunden.“ Tränen tropften auf Bogdanovics Gummibärchentüte. „Sie ist weg. Ausgelöscht! Als hätte es sie nie gegeben.“
     
     
    Jill
     
    Die Unterkunft für obdachlose Frauen lag drei Häuserblocks entfernt. Ein schmuckloser Bau, in dem früher ein Lebensmittelgeschäft untergebracht war, beherbergte ein Asyl mit Schlafgelegenheiten für Menschen ohne festen Wohnsitz. Mehrere Etagenbetten standen so dicht wie nur möglich aneinander gedrängt, um jeden Platz auszunutzen. Unter den weißen Bettkissen lagen
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