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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse
Autoren: Gaby Hoffmann
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einige Leute und schliefen. Der Raum stank nach Schweiß, Knoblauch und Urin. Ausdünstungen, gegen die die zahllosen Putzmittel, die auf einem Regal an der Tür standen, scheinbar machtlos waren.
    „He, haste was zu rauchen?“, eine hagere Alte aus einem der oberen Betten hangelte nach Jills Haaren.
    Jill vergrub sich rasch in dem ihr zugewiesenen Bett mit der sauberen, weißen Bettwäsche und hielt die Luft an. Sie drehte sich um und starrte gegen die trostlosen, weißgetünchten Wände. Sie presste sich beide Hände auf die Ohren, um die lauten Schnarchtöne ihrer Nachbarn und den Streit zweier keifender Frauen nicht hören zu müssen. Irgendwo war jemand damit beschäftigt, einen entsetzlichen Hustenanfall in den Kissen zu ersticken. Erschrocken fuhr Jill zusammen, als eine Hand ihren Rücken berührte.
    Es war Emma. „Jill, leg dich auf deine Sachen drauf, sonst bist du sie morgen früh los!“ Mit diesen Worten ließ sie sich in ihre Kissen sinken, schloss die Augen und schlief augenblicklich ein.
    Jill zog sich seufzend die Decke über den Kopf und versuchte, zu vergessen, wo sie war. Ihre Tasche sowie die Strickjacke klemmte sie unter das Kissen, Top und Rock behielt sie an, Knitterfalten waren ihr jetzt egal. Obwohl sie fix und fertig war, konnte sie zunächst nicht einschlafen. Ihre Sachen klebten in der schwülstickigen Luft an ihrem Körper, aber sie traute sich nicht, sie auszuziehen. Die Ungewissheit ihrer Situation, die Hitze und all die prustenden und grunzenden Schnarchtöne hielten sie lange wach.
    Irgendwann schlief sie doch ein. Sie wachte auf, weil sie eine Bewegung an ihrem Arm spürte. Noch war es so dunkel, dass sie kaum die Umrisse der Möbel erkennen konnte.
    Direkt neben ihrem Gesicht fühlte sie einen Luftzug. Jemand stand vor ihrem Bett und atmete.
    Vorsichtig steckte Jill eine Hand aus und zuckte sofort zurück, als sie weiches Fleisch berührte.
    Jetzt kam Leben in die unbekannte Person. Sie riss Jills Kissen hoch, unter dem ihre Tasche lag, erwischte aber nur ihre Wolljacke und rannte damit davon.
    Automatisch sprang Jill aus dem Bett und lief hinterher. An der Tür fiel ihr ihre Tasche unter dem Kopfkissen ein. Sie kehrte zu ihrem Bett zurück und tastete unter das Kissen. Gott sei dank, sie war noch da! Mit der Tasche über dem Arm spurtete Jill zum Ausgang und spähte in die Dunkelheit. Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Eine Verfolgung wäre aussichtslos gewesen.
    Jill kroch wieder zurück ins Bett, lauschte dem Schnarchkonzert und lag brütend bis zum Morgengrauen wach. Sie fühlte sich entsetzlich gerädert. Noch so eine Nacht hielt sie nicht aus.
    Emma dagegen tat, als hätte sie soeben in einem komfortablen Hotelzimmer übernachtet. Gähnend reckte und streckte sie sich. „Heute wird es wieder schön“, meinte sie nach einem Blick in den klaren Himmel.
    Jill zückte ihren Taschenspiegel und fuhr entsetzt vor der müden Fratze zurück, die sie anstarrte. Blasse Lippen, zerknautschte Wangen, tiefe Augenränder. Sie holte Lippenstift und Puder aus ihrer Handtasche. Ungeschminkt fühlte sie sich nackt.
    Eine der Frauen äffte ihre Bewegungen nach und pfiff dabei frivol durch die Zähne. 
    Emma versetzte ihr einen Rippenstoß, was die andere nicht witzig fand, sondern mit obszönen Beleidigungen erwiderte.
    Jill hielt sich die Ohren zu. Ihr dröhnte der Kopf. Nur weg! Sie raffte ihre Sachen zusammen.
    „Junge, Junge, ich habe den richtigen Job für mich entdeckt. Hört euch das an: ‚Allrounderin für unseren Empfang gesucht. Gepflegtes Äußeres und kompetentes Auftreten Voraussetzung. Sounders’ Music, ...“, mit künstlich gezierter Stimme las eine der Frauen von einem auffällig bunten Blatt Papier ab, das jemand an die Pinnwand geheftet hatte. „Gepflegtes Äußeres! Absolut mein Ding!“ Sie fuhr sich durch ihre fettigen Haare, brach in lautes Gekicher aus und schwenkte den Zettel mit ihren abgekauten, schmutzigen Fingernägeln wie eine Trophäe in der Luft.
    Sofort sprang eine große muskelbepackte Frau mit Punkfrisur an ihre Seite, griff sich einen unsichtbaren Telefonhörer, in den sie mit piepsiger Stimme quakte: „Nein, der Chef ist nicht zu sprechen, er liegt gerade auf seiner Sekretärin. Er kommt heute spät.“
    Jill hatte nur mit halbem Ohr zugehört, aber die Worte „Sounders’ Music“ ließen sie zusammenzucken. Unwillkürlich sah sie sich wieder auf dem Studioboden knien. Obwohl lieber auf dem Studioboden als noch eine Nacht dieses
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