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Schneekuesse

Schneekuesse

Titel: Schneekuesse
Autoren: Gaby Hoffmann
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glitzerten mehrere bunte Perlenbänder. Sie wühlte in einer schwarzen Umhängetasche. Offensichtlich ohne Erfolg. „Scheiße!“, fluchte sie laut. Da entdeckte sie Jill, die immer noch regungslos an der Hausmauer lehnte. „Haben Sie mal eine Zigarette für mich?“
    Jill schüttelte den Kopf.
    „He, Sie waren doch auch eben da drin“, stellte die Frau fest, „geht es Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus?“ Ihre katzenhaft schräg geschnittenen, grünen Augen musterten Jill eindringlich.
    Jill hatte mit der Muttermilch eingesogen, auf die allgegenwärtige Frage „Wie geht es Ihnen?“ mit „gut“ zu antworten – egal, wie der Gemütszustand war. Jetzt allerdings hatte sie keine Muße für Konventionen. „Ich wollte einen Job“, sagte sie leise und tastete nervös an der Mauer entlang, weil sie spürte, dass ihre Beine nachgaben. Das bohrende Hungergefühl nistete sich wieder ein.
    Die Frau rückte näher an sie heran. „Ja, kenne ich. Sie sind auch aus der Branche, was? Manchmal weiß man nicht, ob man jemals wieder was Vernünftiges zwischen die Zähne bekommt. Aber irgendwie gehts doch immer weiter.“
    „Diesmal ist es schlimmer. Ich habe nicht mal mehr ein Dach über dem Kopf“, murmelte Jill tonlos.
    „Ich bin Sandra T. Vielleicht erinnern Sie sich noch an ‚Great thing’?“
    Jill kannte den Song. Vor fünf Jahren war das ein Hit, der überall rauf und runter gespielt wurde. Danach hörte man allerdings von Sandra T. nichts mehr. Eine der vielen musikalischen Eintagsfliegen.
    Sandra fasste Jills Arm: „Kommen Sie, ich lade Sie zum Kaffee ein.“ 
    Jill stopfte ohne Rücksicht auf ihre Figur Burger und Donuts im Coffeeshop um die Ecke in sich hinein. Während des Essens erzählte sie Sandra ihre Geschichte.
    Sandra nippte mit spitzen Lippen an ihrer Kaffeetasse und machte eine wegwerfende Geste, als Jill David erwähnte. „Männer!“, verächtlich betonte sie jede Silbe. Ihre Augenlider flackerten nervös. Jill kannte diese Mimik, es waren Relikte der typischen Berufskrankheit Prominenter, die ständig damit beschäftigt waren, ihre Umgebung zu sondieren, um nichts zu verpassen: Standen da in der Ecke etwa Reporter? Starrten die Fans sie an oder saß dort hinten jemand Wichtiges, den man schnell begrüßen musste? Jeder, der es wenigstens einmal in die Charts geschafft hatte, trug diesen leicht abgehetzten ständig lauernden Gesichtsausdruck. Es fiel diesen Leuten meistens schwer, sich ganz auf ein Gespräch mit ihrem Gegenüber zu konzentrieren.
    „Ich bin es leid, von irgendwelchen Plattenbossen abhängig zu sein“, erklärte Sandra, als Jill ihr Herz ausgeschüttet hatte, „heute habe ich mich wieder mit Sounders’ Erfüllungsgehilfen im Tonstudio abgeärgert. Und am Ende ist alles umsonst, die Aufnahme landet irgendwo im Archiv. Ich krempele mein Leben total um.“ Geheimnisvoll senkte Sandra die Stimme:  „Es gibt da so eine Art Wohngemeinschaft nur für Frauen. In einem alten Haus draußen am Wasser.“ Sie machte eine kleine Kunstpause, als wollte sie den Effekt ihrer Mitteilung auf Jill erst in Ruhe abschätzen. Als diese schwieg, fuhr sie fort: „Künstlerinnen! Männer sind tabu. Sie haben einige kleinere Auftritte hinter sich. ’Ne ganz gute Mischung aus Soul, Gospel und Pop, ziemlich eigenwillig, aber kommt gut an. Sie managen sich selber und arbeiten total selbstbestimmt. Ich glaube, das wäre auch was für dich.“
    Sandra wollte in diesen Tagen dort einziehen. Ihre Eigentumswohnung, die aus der Zeit stammte, als ihr Hit erfolgreich in den Charts lief, hatte sie verkauft. „Ich hasse es, allein zu leben. Also hat dauernd irgendein Typ bei mir gewohnt. Der Letzte war gleichzeitig mein Manager. Das heißt, den bin ich jetzt auch los. Die richtige Zeit für einen Neuanfang! Musikalisch krebse ich sowieso seit Jahren herum. Zum Glück habe ich meine Ersparnisse“, Sandra trank einen großen Schluck Kaffee und berichtete weiter von der Wohngemeinschaft. „Das Haus gehört Ginger Carlton und ihrer Schwester Mary-Ann. Ginger ist eine ehemalige Tänzerin, die sich jetzt um minderjährige, obdachlose Mädchen kümmert und gleichzeitig die Frauen-Gruppe künstlerisch aufbaut. Eine tolle Frau! Sie wird dir gefallen.“
    Jill wusste zwar nicht, was sie von einer reinen Frauen-Wohngemeinschaft halten sollte, aber besser als die Obdachlosenherberge letzte Nacht würde es dort mit Sicherheit sein. Und die Aussicht, eventuell sogar als Sängerin zu arbeiten, reizte sie.
    „Ich
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