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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind
Autoren: Silke Nowak
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Freund der Familie“, sagte Alex. Seit seiner Pensionierung kümmerte er sich um das Anwesen und die Pferde.
    „Ein Tier gehört aufs Land“, war das Erste, was ich von Karl Anton hörte.
    Ich nickte.
    Garcon war gerade mal ein Jahr und zwei Monate alt gewesen, als er von der Dachterrasse unserer Penthouse-Wohnung in Berlin auf die Auguststraße hinabstürzte. Alex machte sich schreckliche Vorwürfe, weil er die Balkontür nicht richtig geschlossen hatte, als er die Wohnung verließ. Ich war nur froh, dass man Garcon bereits weggeschafft hatte, als ich abends nach Hause kam. Allein beim Gedanken an den Hund auf dem Straßenpflaster begann alles in mir zu schreien.
    „Was ist denn da im Stall?“, frage ich. „Oder wird er nicht mehr genutzt?“
    „Pferde“, antwortete Karl Anton.
    „Pferde? Das ist ja toll. Ich liebe Pferde. Wie viele?“
    „Zwei.“
    „Ich wollte immer schon ein eigenes Pferd haben“, sprudelte es aus mir hervor. „Was sind es denn für welche?“
    „Hannoveraner.“ Karl Anton redete nicht viel. Er nahm Becky wieder an die Leine.
    Am liebsten wäre ich gleich in den Stall gelaufen. Der Atem der Tiere und der Geruch von Stroh und Leder verliehen mir seit jeher ein Gefühl der Geborgenheit.
    Die Haustür öffnete sich.
    „Alexander!“, rief eine Frau mit blonden Haaren, die ich sofort als seine Mutter erkannte. Doch nicht nur Alex’ Gesicht hatte zu strahlen begonnen. Auch in Karl Antons verschlossene Miene war ein Lichtstrahl gefallen, als hätte sich eine innere Tür geöffnet.
    Alex’ Mutter war klein, aber in ihrem Gang lag eine große Kraft. Sie trug ein schwarzes Kleid und einen schmerzhaften Zug im Gesicht, der ihre ansonsten eher alltägliche Schönheit zu etwas Besonderem machte. Zu etwas Faszinierendem, wie ich fand. Ohne Rücksicht auf ihre feinen Schuhe kam sie über die matschige Einfahrt gelaufen, um ihren Sohn in die Arme zu schließen. Verlegen wandte ich den Blick ab; ich hatte Tränen in ihren Augen gesehen. Auch Karl Anton war wieder in seine Einsamkeit zurückgekehrt, bevor er sich mit einem stummen Nicken verabschiedete. Nach einem knappen „Bei Fuß“ ließ sich Becky widerstandslos abführen. Ich starrte den beiden hinterher.
    „Sag bitte Christa zu mir“, sagte Alex Mutter, als wir im Flur standen. Mit dem Vorwand, sich um das Gepäck zu kümmern, hatte Alex uns allein gelassen.
    „Ich freue mich wirklich, dass ihr euch verlobt habt“, versicherte sie. Weder ihre Stimme noch ihre Mimik gaben mir Anlass, an ihren Worten zu zweifeln: „Es ist so schön, dass du hier bist, Anne.“
    Alex’ Mutter hielt meine Hände in ihren und lächelte mich an. In ihren kleinen Händen wirkten meine größer und grober, als sie ohnehin schon waren; „Geburtszangen“ nannte Alex sie zärtlich.
    „Ich hoffe, die Fahrt war nicht allzu anstrengend?“ Christas Augen hatten dasselbe Blau wie Alexanders. „Ich habe euch das Gästehaus hergerichtet, drüben im Nebengebäude, da seid ihr ungestört.“ Sie sah mich an und fragte besorgt nach: „Das ist doch in Ordnung, oder?“
    „Natürlich“, versicherte ich und kämpfte gegen die Tränen, die mir vor Ergriffenheit in die Augen gestiegen waren. Christa war so gut zu mir.
    „Es ist ... wunderbar“, sagte ich.
    Christa streichelte mir zärtlich über die Wange und nickte nur.
    „Na komm, ich zeig dir erst mal das Haus“, sagte sie und hakte sich bei mir unter, als wären wir alte Freundinnen. Dankbar lächelte ich sie an.
    Seine Mutter wird wahrscheinlich alles tun, um euch auseinanderzubringen , hatte Nadine gesagt. Der bist du doch nicht gut genug . Nadine machte mit ihrem Misstrauen mein Lächeln unsicher.
    „Das ist das Vestibül“, sagte Christa. Wir standen in einem zweiten, weitaus größeren Flur. Ich fühlte mich wie im Innern einer riesigen Muschel: Alles war weiß und aus einem Guss. Selbst die Treppe ins Obergeschoss schien aus der Wand herauszuwachsen. Unzählige in das Weiß eingelassene Lichtpunkte erleuchteten die Empfangshalle, in der es nichts zu sehen gab: keine Gemälde, keine Antiquitäten, keine Kronleuchter. Im Grunde fehlte alles, was an Überschwänglichem aus Christas Augen sprach.
    Der einzige Schmuck war ein schwarzer, großer Perserteppich. Träge wie ein Jaguar, der sich nur ausruht, lag er auf den weißen Fließen.
    „Ein Hochzeitsgeschenk“, kommentierte Christa meinen Blick und öffnete die erste der vier Türen. „Das ist das Wohnzimmer. Hier liegt das Gegenstück.“
    Von einem
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