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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind
Autoren: Silke Nowak
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Zeitschrift; es war eine Hochzeitszeitschrift mit Brautkleidern, die Christa für mich gekauft hatte.
    „Was meinst du damit?“, fragte ich. Draußen erkannte ich Alex’ Stimme, die von einer zweiten männlichen Stimme begleitet wurde.
    „Womit?“
    „Mit dem Trügerischen.“
    „Nichts Besonderes.“ Sylvia blätterte ohne aufzusehen um. „Ist bloß so ein dummer Spruch.“
    „Liebst du deinen Vater eigentlich?“
    Überrascht ließ sie die Zeitschrift in ihren Schoß sinken.
    „Alex meint, Friedrich sei ein Tyrann“, erklärte ich meine Frage.
    „Ein Tyrann?“
    Sylvia hatte wache Augen, denen nichts entgangen war, auch nicht meine Sehnsucht nach Schnee.
    „Alex ist doch selber einer“, lachte sie hell.
    „Alex hat mir erzählt“, fuhr sie plötzlich ernst fort, geradezu sanft, weil sie meine Beklemmung bemerkt haben musste, „dass du, wie soll ich sagen, nicht so gerne Weihnachten feierst.“
    Ich nickte schwach. Wie konnte ich auch nur annehmen, dass Alex das für sich behalten hatte? Mein Blick ruhte auf Sylvias Fuß, einer ihrer Schuhe war auf das Parkett geglitten, eine hauchdünne Naht spannte sich über ihre Zehen.
    „Hat das wirklich was mit deinem Vater zu tun?“
    Ich musste blass geworden sein. Denn Sylvia schlug sich die Hand vor den Mund und sagte: „Entschuldigung, ich wollte nicht indiskret sein.“
    „Nein, ist schon okay.“
    „Kannst du dich überhaupt noch an ihn erinnern?“
    Ich schüttelte den Kopf. „Ich habe ihn nicht mehr gesehen, seit ich fünf war. Er ist damals in den Westen rüber.“
    „Mistkerl.“
    Ich nickte wieder. An alles, was vor meinem fünften Geburtstag lag, konnte ich mich kaum erinnern. Ich würde meinen Vater nicht mehr erkennen, selbst wenn er eines Tages vor mir stand. Auf meine Frage, warum keine Fotos aus dieser Zeit existierten, hatte meine Mutter nur zögerlich geantwortet; man habe damals noch nicht so viel fotografiert wie heute.
    Ich hörte Schritte. Schwere Schritte. Sie kamen näher.
    Instinktiv drehte ich mich dem Garten zu, diesem Ort des Friedens, um gegen die Panik anzukämpfen, die in mir aufzusteigen drohte. Mein Bauch krampfte sich zusammen. „Weil du deinen eigenen Vater nie kennengelernt hast“, raunte die Stimme von Frey in meinem Kopf. „Dann wird das Bild übermächtig.“
    Meine Hände waren schweißnass. Ich hörte, wie jemand den Raum betrat.
    „Hallo die Damen“, polterte eine Stimme.
    Langsam wie eine Marionette, die einen Befehl ausführt, drehte ich mich um. Alex’ Vater kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.

3. Kapitel: Der Abend des 24. Dezembers
    „Das ist eine schreckliche Geschichte“, sagte Friedrich. „Die arme Frau.“
    Wir saßen an einer langen, festlich geschmückten Tafel im sogenannten „Wintergarten“, der bei besonderen Anlässen als Esszimmer genutzt wurde. Der Tisch war für sechs Personen gedeckt. Wir waren zu fünft.
    An den Längsseiten saßen Christa und Sylvia, gegenüber hatten Alex und ich Platz genommen. Am Kopfende saß Alex’ Vater, gegenüber war für Hendrik gedeckt, Alexanders Bruder. Als er um 19 Uhr immer noch nicht erschienen war, hatte Christa entschieden, dass wir einfach schon mal anfingen. Wenigstens anrufen hätte er ja können, meinte Friedrich, doch damit war das Thema erledigt, vorerst zumindest.
    Christa hatte sich bei der Dekoration auf die Farben Weiß und Silber konzentriert, stellte ich dankbar fest und fragte mich, ob sie wusste, dass ich Gold und Rot nicht ertragen konnte. Der Tisch sah aus wie der Traum einer Schneekönigin: Silbernes Besteck, silberne Kandelaber, silberne Kugeln und Elche, dazu weiße Servietten, Kerzen und viel Kristall. Christa trug ein dunkelgrünes Kostüm, ich das rote Wickelkleid, das Alex so sehr mochte, nur Sylvia war mit großer Abendgarderobe aufgefahren, ein bodenlanges, schwarzes, asymmetrisches Kleid, bei dem die linke Schulter frei blieb.
    Wir hatten gerade mit der Vorspeise begonnen – eine Terrine von der Gänseleber im Baumkuchenmantel – als Friedrich mit dem Thema anfing: „Und die Kriminalpolizei weiß immer noch nicht, woran genau sie gestorben ist?“
    „Möchte noch jemand von dem Wein?“ Christa deutete auf die Flasche Weißwein, die in einem silbernen Kübel lag.
    „Danke“, sagte Sylvia. „Er schmeckt vorzüglich.“
    „Wirklich sehr gut“, versicherte ich.
    „Was ist mit dem pathologischen Bericht?“ Friedrich beharrte auf dem Thema. „Der müsste doch längst fertig sein.“
    Alex’ Vater hatte die
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