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Schneekind

Schneekind

Titel: Schneekind
Autoren: Silke Nowak
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und Düfte versetzten mir anfangs einen Schock. Der Kontrast zu der Kargheit der anderen Räume war groß.
    Wir befanden uns in der Küche. Sie war zur Hälfte mit einer U-förmigen Einbauküche verkleidet, in deren Mitte eine Kücheninsel und ein Holztisch Platz fanden. An der Wand hing ein Teller mit dem Schloss der Hohenzollern, daneben orientalische Fliesen und ein Kalender mit kleinen Kätzchen. Sogar Puppen saßen auf einem Regal und tranken mit großen Augen Tee.
    Auf der anderen Seite schloss sich ein Gewächshaus an, von dem nicht abzusehen war, wie groß es war. Palmen und Orangenbäume versperrten die Sicht.
    „Ein Gewächshaus?“, fragte ich beeindruckt.
    Christa nickte und begab sich routiniert an den Herd, auf dem sie das Abendessen vorzubereiten schien. Hedwig, die 73jährige Haushaltshilfe, die dreimal die Woche kam, habe über die Feiertage freibekommen, erklärte Christa.
    „Mama ist eine alte Kräuterhexe“, hörte ich Sylvia.
    Ich stand vor einem alten Apothekenregal aus Mahagoni. In den Flaschen und Schubfächern befanden sich mehr als 100 verschiedene Gewürze und Teesorten, alle liebevoll beschriftet und mit einem Foto der Pflanze beklebt, von der die Blätter oder Samen stammten.
    „Sie macht sogar ihre Hautcreme selbst“, hörte ich Sylvia wieder. „Die Marmelade sowieso. Probier’ mal.“
    Sylvia stand hinter der Kücheninsel, auf der sich Weihnachtsplätzchen in allen Produktionsstadien befanden: Fertige lagen auf einem Gitter, Halbfertige auf einem Blech, daneben lag ein Mürbeteig. Auf dem Gasherd standen zwei blank polierte Kupfertöpfe. In dem einem schien die Marmelade zu köcheln, von der Sylvia gesprochen hatte, in dem anderen eine Art Brei. Sylvia streckte mir einen Löffel entgegen.
    „Lecker“, bestätigte ich.
    Der Brei war eine Butter-Zucker-Masse mit Nüssen und noch lauwarm. Sylvia schob sich bereits den vierten Löffel davon in den Mund. Es war ungerecht, dass die schlankesten Frauen essen konnten, was sie wollten. Bei mir schlug jeder Bissen sofort an.
    „Jetzt langt es aber“, rief Christa mit gespielter Entrüstung, während sie einen Braten mit Senf einpinselte. „Macht lieber mal die anderen fertig.“
    Sylvia strich gehorsam den Mürbeteig auf das Blech, dann die Marmelade und zuletzt die Butter-Zucker-Nuss-Masse.
    „Was ist das für eine Marmelade?“, fragte ich und spielte mit einem Kern, der irgendwo gelegen hatte.
    „Wildaprikosen“, antwortete Sylvia, da Christa mich nicht gehört zu haben schien. „Mama züchtet sie selbst.“ Sie zeigte zum Gewächshaus und reichte mir ein fertiges Plätzchen.
    „Köstlich“, sagte ich. Der bittere Beigeschmack ergänzte das Süße ideal.
    Sylvia und ich saßen im grünen Salon, der seinen Namen von dem Jugendstil-Kachelofen erhalten hatte, der in der Mitte stand. Friedrich wolle noch etwas in der Stadt besorgen, eigentlich müsse er längst wieder zurück sein, hatte Christa erklärt, bevor sie sich selbst entschuldigte – sie müsse noch kochen.
    Wo war eigentlich Alex?
    „Ein Fünfeckofen mit Medaillon, eine absolute Seltenheit“, sagte Sylvia und streichelte über die gelb-grüne Glasur. Ihre Fingernägel waren dunkelrot lackiert.
    „Papa wollte ihn ja zuerst rauswerfen“, fügte sie hinzu und sah mich an: „Aber Mama hat für diesen Ofen gekämpft als ging es um ihr Leben.“
    Nachdenklich trat ich ans Fenster. Über dem Garten lag eine dicke Schneeschicht, sie bedeckte die kugelförmigen Sträucher, das Dach eines Pavillons und den Rand eines Brunnens. Es war klirrend kalt. Man sah dem Schnee nicht an, dass seine Oberfläche hart war wie die einer Crème brûlée. Irgendwo hatte ich mal gelesen, wie jemand in einem Sessel saß und draußen um ihn herum alles im Schnee versank, es schneite unaufhörlich. Es sollte ein Bild für das Jenseits sein, für den Frieden, den man gefunden hatte.
    In Berlin fiel der Schnee meist schon dreckig vom Himmel. In Berlin, wo ich meine Arbeit hatte, beschäftigte mich das Jenseits nicht. Hier war der Schnee rein und weiß, nur wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass ein zartes Blau wie Nebel aus ihm aufstieg, das in nur wenigen Stunden den Himmel verdunkeln würde.
    Draußen waren Stimmen zu hören. Meine Hände wurden feucht.
    „Deine Eltern haben sich hier ein kleines Paradies geschaffen“, sagte ich und wendete mich Sylvia wieder zu.
    „Paradiese sind bekanntlich trügerisch.“ Sylvia saß auf einem roten Barocksessel und blätterte in einer
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