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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub)
Autoren: Marten t Hart
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hast du nichts, die putzen keine Fenster.‹ Was gab dieser anderen Frau das Recht, meine Töchter zu erziehen?«
    »Wenn du ihn damals, vor dem Krieg noch, geheiratet hättest, dann hätte er dir seinerzeit schon verboten, Hour of Power anzusehen und anzurufen.«
    »Red keinen Quatsch! Was für ein Unsinn! Damals gab es überhaupt noch kein Fernsehen, und Leute wie wir hatten kein Telefon.«
    »Das stimmt, aber stur und unbeugsam wird er auch als junger Mann schon gewesen sein.«
    »Nein, dazu hat ihn erst dieses Weibsbild gemacht. Die hätte er niemals heiraten dürfen, genauso wenig wie ich euren Vater hätte heiraten dürfen. Meine Mutter hat mich noch vor eurem Vater gewarnt. Sie sagte: ›Der Bursche kommt aus keinem guten Nest. Das sind lauter Schürzenjäger. Und sein Vater, der Krämer, der sagte immer: Feudel, acht Cent das Stück, drei Stück im Sonderangebot für fünfundzwanzig Cent. So ein Kerl ist das.‹«
    »Man hat dich also in jeder Hinsicht gewarnt, und du wolltest ihn überhaupt nicht, du wolltest Siem, und dennoch hast du ihn geheiratet. Wie soll ich das verstehen?«
    »Dein Vater kam immer nach dem Katechismusunterricht mit einem meiner Brüder zu uns. Jedes Mal war an seiner Kleidung etwas nicht in Ordnung, und dann erbarmte man sich eben wieder und nähte ihm einen Knopf an.«
    »Und mit jedem Knopf, den du annähtest, wurdest du enger mit ihm verknüpft. Muss ich es mir so erklären?«
    »Durch diese elenden Hosenträger bin ich auf eine abschüssige Ebene geraten. Ich rutschte hinab, obwohl ich nicht wollte. Plötzlich trug ich einen dünnen Ring, und wir waren verlobt. Dein Vater ... das muss ich ihm lassen ... dein Vater war überaus unterhaltsam, er konnte sehr nett erzählen, das konnte Siem nicht, der war schweigsam wie ich. Wenn ich deinem Vater einen Knopf annähte, dann setzte er sich zu mir und erzählte genüsslich, und dann musste man lachen, ob man wollte oder nicht, er konnte wirklich gut erzählen, das muss ich ihm lassen, und was ihn außerdem von Siem unterschied, war, dass er keine Angst kannte. Er fürchtete sich vor nichts. Von Kindesbeinen an habe ich mich vor allem Möglichen gefürchtet: vor Spinnen, vor Asseln, vor Hausierern, aber dein Vater ... es war im Krieg, wir waren schon verheiratet, und ich war mit dir schwanger, da fuhren wir abends einmal durch den Lijndraaierssteeg. Das heißt, ich fuhr, dein Vater ging, denn die Deutschen hatten ihm sein Fahrrad abgenommen. Mein Rad aber, das bestand nur aus klappernden Felgen und rostigen Speichen, das wollten sie nicht haben ... Ich fuhr also durch den Lijndraaierssteeg, und dein Vater ging neben mir her, als wir tatsächlich in eine Ausweiskontrolle gerieten. Weil ich mit meinem dicken Bauch nicht schnell genug absteigen konnte, trat einer der Deutschen mich von meinem Rad. Da packte dein Vater den Moff beim Handgelenk ... stell dir das mal vor ... so einen Wegelagerer mit einer hochragenden Mütze auf dem Kopf und einem Gewehr auf dem Rücken ... dein Vater packte ihn also beim Handgelenk und sah ihn mit seinen giftgrünen Augen an; der Kerl schrumpfte regelrecht in sich zusammen. Der andere Moff hob mich von der Straße auf und sagte: ›Das ist garantiert eine Jüdin‹, und dein Vater erwiderte: ›Nein, das ist nicht wahr.‹ Die beiden Kerle haben daraufhin meinen Pass von vorne bis hinten angeschaut und beschnüffelt, sie haben ihn abgeklopft und gegen das Licht gehalten, und als sie auch mich von allen Seiten betrachtet hatten und der eine immer noch meinte: ›Das ist eine Jüdin, ganz sicher‹, da widersprach dein Vater ihm in aller Ruhe, ohne jede Spur von Angst ... Es kommt mir noch immer wie ein Wunder vor, dass wir heil wieder nach Hause gekommen sind, aber ich habe damals beschlossen, nicht mehr vor die Tür zu gehen. Meine Brüder, meine Schwestern und ich ... den ganzen Krieg über haben wir Schwierigkeiten gehabt. Jedes Mal, wenn sie jemanden aus meiner Familie sahen, dachten die Deutschen, sie hätten es mit einem Juden zu tun ... Ohne deinen Vater hätte ich es nicht geschafft, dort im Lijndraaierssteeg. Wenn man fürchterlich in der Klemme sitzt, aber dennoch keine Angst hat, dann erzwingt man Respekt. Furchtlosigkeit macht unverletzlich.«
    »Meinst du? Übermut tut selten gut.«
    »Dein Vater war nicht übermütig, der war unerschrocken und tapfer. An dem Tag, als du geboren wurdest, gab es eine Razzia. Die Moffen waren hinter allen jungen Burschen her. Die sollten nach Deutschland
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