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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub)
Autoren: Marten t Hart
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»sie war mit dem Fahrrad unterwegs, ich weiß es genau, und dein Vater hatte sie irgendwo in einer Röhre versteckt und ihr Fahrrad in einer anderen. Und es war aussichtslos, in all den Miströhren nachzusehen, um sie und ihr Fahrrad zu finden, dort lagen dreißig oder vierzig von den großen Betondingern. Nein, nein, das hatte keinen Zweck, und außerdem: Was hätte es mir gebracht, wenn ich diese Schnalle gefunden hätte? Sie hätte sowieso behauptet, sie sei zufällig in der Gegend ...
    »Ich kann mich noch gut an die Betonröhren erinnern«, sagte ich. »Die waren ziemlich groß, ich passte bequem hinein, aber ein Fahrrad konnte man darin nicht verstecken.«
    »Was redest du da für einen Unsinn? Überall lagen diese großen Dinger herum. Dazwischen konnte man doch leicht ein Fahrrad verschwinden lassen.«
    »Einverstanden, dazwischen, aber nicht darin.«
    »Ich habe doch nicht behauptet, dass ihr Fahrrad in so einer Röhre war.«
    »So habe ich dich aber verstanden.«
    »Was spielt das schon für eine Rolle? Dein Vater hat dort in einer der Röhren eine Mieze versteckt, und ihr Fahrrad hat er auch irgendwo verschwinden lassen. Und er hat mit mir Kaffee getrunken, als wäre alles in bester Ordnung, als steckte nicht irgendwo in den Röhren eine Frau ... Und als der Kaffee alle war, bin ich wieder zurückgegangen, zum zweiten Mal über diese schreckliche große Sandfläche. Zum Glück war die Tasche diesmal weniger schwer, und als ich endlich, endlich bei ’t Paard z’n Bek wieder die Zivilisation erreichte, weißt du, was da passierte? Da hat mich von hinten eine Frau auf einem Fahrrad überholt. Sie schaute sich nach mir um, und es fehlte nicht viel, und sie hätte mir auch noch zugewinkt. Ich wusste ganz genau: Das war sie. Sei also nicht so besserwisserisch ... sie war mit dem Fahrrad unterwegs.«
    »Das Fahrrad kann sie auch irgendwo bei ’t Paard z’n Bek abgestellt haben, das muss sie nicht unbedingt durch den Sand mitgenommen haben. Es wäre für die Israeliten ziemlich lästig gewesen, wenn sie in der Wüste Sinai Fahrräder hätten mitschleppen müssen.«
    »Damals gab’s noch keine Fahrräder.«
    »Nein, das stimmt, da hast du vollkommen recht.«
    »Da bin aber froh, dass du mir wenigstens in dem einen Punkt recht gibst. Aber weißt du, dass du genauso ein Schuft bist wie dein Vater ... Oh, oh, wie dein Vater hast du ... und das auch noch mit der Frau deines allerbesten Freundes. Der Herr wird dich dafür strafen. Mit doppelten Schlägen wirst du geschlagen werden.«
    »Ein reuevoller Sünder findet immer Vergebung.«
    »Ich freue mich, dass du das noch weißt. Aber dass du mit der Frau von diesem Jouri ...
    »Warum hast du mir nie erzählt, dass sie hin und wieder bei dir war?«
    »Du weißt doch, wie einer meiner Lieblingspsalmen lautet: ›Herr, behüte meinen Mund, schütz meiner Lippen Türe, auf dass ein unbedachtes Wort mich nicht ins Elend führe.‹ Es gibt so viele Sachen, die ich dir nie erzählt habe. Wenn mir genug Zeit bleibt, tue ich das noch. Und in diesem Fall habe ich gedacht: Wenn er hört, dass diese Frau immer wieder vorbeikommt, dann steigt ihm das vielleicht zu Kopfe, schließlich ist sie nicht hässlich, und er ist ja schon mit einer anderen verheiratet, und diese Isebel auch, das kann also nur zu schrecklichen Problemen führen. Darum habe ich meinen Mund gehalten. Aber das ist jetzt nicht mehr nötig, jetzt erzähle ich, wie meine Mutter, alles, in den Jahren, die mir noch bleiben.«
    »Du wirst hundert.«
    »Das wäre schrecklich. Neulich rief Onkel Joost mich an, er ist vorige Woche vierundneunzig geworden. ›Christa‹, sagte er mit jämmerlicher, verkniffener Stimme, ›mein Arzt hat mir gesagt, dass ich sterben werde.‹ ›Du Glückspilz‹, erwiderte ich. ›Besonders viel Mitgefühl hast du nicht‹, sagte er. Daraufhin erwiderte ich: ›Warum sollte ich Mitgefühl haben. Du bist vierundneunzig, wenn du stirbst, kann man der Hebamme doch wirklich nicht mehr die Schuld geben.‹«
    Meine Mutter presste die Lippen aufeinander und sah mich böse an.
    »Ich wünschte, ich könnte sterben, ich bete jeden Tag dafür. Worüber ich mir nur Sorgen mache, ist die Frage, ob ich Siem im Himmel wiedersehen werde.«
    »Warum sollte Siem nicht im Himmel sein?«, fragte ich.
    »Nun ja«, sagte meine Mutter, »das ist auch so eine Geschichte. Mit dem Pastor habe ich schon darüber gesprochen, aber mit dir noch nicht. Als Siem den Verstand verlor, begann er seltsame Dinge zu
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