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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas
Autoren: Ulrike Schweikert
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Prolog
EIN GEHEIMES TREFFEN
    Die Schwüle drückte schwer wie Unheil auf das Tal herunter, in dem sich der Genfer See mit seinem tiefen Wasser ausbreitete. Noch war das Wasser spiegelglatt. Kein Windhauch verschaffte Kühlung, doch zwischen den Berggipfeln ballten sich bereits die ersten dunklen Wolken zusammen und verhüllten die Sterne. Schwarz und drohend stießen sie immer höher in den Himmel. Das Donnergrollen sprang von einer Felswand zur anderen. Ein erster Blitz zuckte über den Himmel und spiegelte sich gleißend im Wasser. Und dann kam der Wind, der den Spiegel zu schäumenden Wellen aufwühlte und an den Zweigen der Bäume zerrte. Wie das Heulen von Wolfsrudeln fegte er aus den Bergen herab und brauste über das Tal.
    Die Burganlage lag wie ein am Ufer vertäutes Schiff in den Wellen des Sees. Ihre Mauern verbanden sich mit dem Felsen, der unter ihr steil ins schwarze Wasser abfiel. Schon im Mittelalter hatte die Burg die Straße zwischen dem Großen Sankt Bernhard und Lausanne bewacht und Zoll von jedem Reisenden verlangt, der den schmalen Durchgang zwischen den steilen Bergen und dem Seeufer passieren wollte. Dann war die Burg als Zeughaus und Waffenlager benutzt worden, und auch als Gefängnis. Heutzutage wohnte hier kein Burgvogt mehr, und es gab so manche, die die massigen Mauern von Chillon gern für den Bau der Eisenbahnlinie verwendet hätten.
    Ein Donnerschlag ließ das alte Gemäuer erbeben. Regen rauschte herab.
    »Nun, ist Euch der Boden neutral und abgelegen genug?«, durchbrach eine Stimme die Gedanken der Frau, die sich über die Fensterbrüstung gelehnt und auf das aufgewühlte Wasser hinabgesehen hatte. Der Wiener Akzent ließ die Worte länger und weicher klingen, als sie in ihrer Heimat im Norden des Deutschen Reiches ausgesprochen wurden.
    »Ich habe nicht auf diesem Theater bestanden!« Sie drehte sich um und nahm sich erst Zeit, die andere Frau zu betrachten, ehe sie sie begrüßte.
    »Antonia, es ist lange her.« In ihrer Stimme lag weder Freude noch Ablehnung.
    »Baronesse* Antonia, Dame Elina«, korrigierte die Frau im Türrahmen in säuerlichem Ton und kam mit rauschenden Röcken näher. Wie ein Wasserfall ergossen sich Rüschen aus pflaumenfarbenem Satin über einer weit schwingenden Krinoline*. Ihr üppiges Dekolleté wurde von einem Rahmen aus schwarzer Spitze eindrucksvoll zur Geltung gebracht. Das schöne Gesicht mit der makellosen Haut war geschminkt und ihr dunkles Haar so kunstvoll aufgesteckt, als wollte sie heute Nacht noch auf einen Ball in der Wiener Hofburg gehen. Ihre Erscheinung war von berückender Perfektion.
    »Baronesse Antonia«, wiederholte Dame Elina mit einem unterdrückten Lächeln und hauchte rechts und links der geschminkten Wangen einen Kuss in die Luft.
    »Trägt man diese Ungetüme von Reifröcken in Wien noch immer? Ich dachte, selbst die Kaiserin habe schon vor zehn Jahren die Tornüre* entdeckt. - Wobei ich nicht sagen kann, was von beidem unbequemer ist«, fügte sie hinzu und zog eine Grimasse.
    »Aus welcher Epoche Euer Kleid stammt, möchte ich lieber nicht fragen«, gab Baronesse Antonia zurück und schürzte verächtlich die Lippen, als ihr Blick an dem schlichten Kleid aus dunkelblauem Tuch hinabglitt, unter dessen Saum die Spitzen von Reitstiefeln hervorlugten. Das ergraute Haar hatte Dame Elina zu einem einfachen Knoten geschlungen. Sie trug keinen Schmuck und war ungeschminkt. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen• Alle mit * gekennzeichneten Begriffe werden im Anhang näher erläutert. strahlten ihre Züge eine würdevolle, alterslose Schönheit aus. Auch ihre Haut war ohne jeden Makel und sehr bleich.
    »Es ist vielleicht nicht das Eleganteste, aber ungemein praktisch und bequem«, sagte sie absichtlich mit einem Hauch von plattdeutschem Akzent, sodass sich die hübschen Züge der Baronesse noch mehr verzerrten. Die beiden Frauen musterten einander noch immer voller Abneigung, als die Tür geöffnet wurde und einige Männer eintraten, wie sie von Kleidung und Statur her nicht unterschiedlicher hätten sein können:
    Ein kleiner, untersetzter Mann mit mausgrauem Haarkranz watschelte auf die Damen zu und küsste ihnen die Hände. »Baronesse Antonia, Dame Elina, ich hoffe, Ihr hattet eine gute Reise. Ist Euer werter Bruder auch gekommen, Baronesse?« Bei jedem Wort entwich süßlicher Verwesungsgestank aus seinem Mund.
    Die Wienerin klappte ihren Fächer auf. »Aber natürlich, Conte* Claudio, er ist der Fürst der Dracas. Ich bin
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