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Nosferas

Nosferas

Titel: Nosferas
Autoren: Ulrike Schweikert
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noch immer der große Herd stand, von dem aus man auch den Kachelofen in der Stube befeuern konnte. Seit der Clan der Vamalia das Haus bewohnte, war der Ofen nicht mehr benutzt worden. Die Vampire spürten weder die Kälte des Winters noch die Hitze des Sommers.
    »Guten Abend, Alisa«, begrüßte sie eine Frau in der Uniform eines Hamburger Dienstmädchens. Sie war wie Hindrik eine Servientin, aber erst vor wenigen Jahren ins Haus gekommen.
    »Guten Abend, Berit.«
    Unaufgefordert reichte die junge Frau ihr einen Becher. Alisa stürzte das noch warme Tierblut, das zwei der Bediensteten jeden Abend vom nahen Schlachthof holten, gierig hinunter. Dann verließ sie das Haus. Inzwischen war es dunkel geworden. Nur die Gaslampen auf den Brücken und in den breiteren Gassen verströmten in einem kleinen Kreis ihr gelbliches Licht. Alisa zögerte. Sie wusste, dass ihre Aussicht auf Beute in den reicheren Vierteln und um die Börse am größten war, dennoch zog es sie wie magisch zum Wandrahm und zu den Häusern am Doverfleet. Es war nur eines der Gängeviertel* in Hamburg, doch sicher das mit den übelsten Lebensbedingungen für die Menschen. Und dennoch waren selbst die stets feuchten Wohnungen im Erdgeschoss bewohnt, die bei jeder Sturmflut oft tagelang unter Wasser standen. Dicht an dicht drängten sich die winzigen Wohnungen mehrere Stockwerke hoch um Höfe mit drei oder vier Hinterhäusern. Männer, Frauen und Kinder schliefen zusammen in den schmalen Betten, meist gab es noch fremde Schlafgänger, die in den letzten freien Ecken für ein paar Pfennige die Nacht ihr Lager aufschlugen.
    Der Geruch der vielen Menschen war betäubend und hüllte Alisa wie eine Wolke ein. Die Menschen auf der Wandrahminsel rochen nicht so verführerisch süß wie die jungen Fräulein, die in ihren engen Tornürenkleidern über den neuen Jungerfernstieg trippelten, oder die Herren in den dunklen Anzügen, die sich nach ihrer Arbeit an der Börse oder in den Handelskontoren zu einem abendlichen Bier trafen. Dies war eine Mischung wie aus zu vielen exotischen Gewürzen, säuerlich und wild und vielleicht gerade deshalb so erregend. Alisa schlenderte zwischen den Menschen hindurch, die ihr anstrengendes Tagewerk beendet hatten. Sie passierte Männer, die auf alten Kisten auf der Gasse saßen und eine Buttel kreisen ließen. Frauen standen beisammen, lachten oder zankten. Und zwischen ihnen liefen kreischend Kinder hin und her und spielten Fangen.
    Nicht zum ersten Mal dachte Alisa darüber nach, wie ihr Blut wohl schmecken würde. Bisher hatte sie noch kein Menschenblut gekostet. »Zu gefährlich«, hatte Dame Elina verkündet und für jeden Verstoß drakonische Strafen angedroht. Alisa würde warten müssen, bis sie alt genug war, wie die jungen Vampire anderer Clans auch. Sie würden sich in ihrem ersten Blutrausch verlieren, wenn sie noch nicht stark genug dafür waren, lautete die Erklärung. Und trotzdem - oder vielleicht gerade deshalb - konnte Alisa nur schwer widerstehen.
    Sie unterdrückte einen Seufzer und wandte sich der Brücke zu. Es war Zeit zu gehen. Erstens wollte sie ihre Beute nicht an die Marktfrauen oder andere Interessierte verlieren und zweitens musste sie ihr aufgewühltes Gemüt beruhigen. Es war berauschend und gefährlich, sich so nah unter die heißblütigen, schwitzenden Leiber zu mischen!
    Alisa blieb auf der Brücke stehen, die beim Kornhaus über den Fleet führte, und atmete die brackige Luft ein. Es hatte gerade Niedrigwasser, und so lagen einige Boote, deren Kiele auf dem Schlick aufgesetzt hatten, etwas schief im flachen Wasser. Sie setzte ihren Weg fort und fühlte, wie ihre Beine schwer wurden, doch sie ließ sich nicht beirren. Die Vamalia hatten längst gelernt, die Fleete bei jedem Wasserstand zu überqueren. Nur diese Schwere in den Knochen erinnerte sie noch daran, dass sie einst fließendes Wasser nur bei einsetzendem Gezeitenwechsel hatten queren können.
    Alisa nahm die Gasse zum Nikolaifleet und folgte ihm bis zur Börse. Dann ging sie zu dem Platz, auf dem noch immer Reste des gesprengten Rathauses auf einen Neubau warteten. Seit dem großen Brand im Jahr 1842 tagte der Hamburger Senat in einem Waisenhaus in der Admiralitätsstraße. Alisa schritt über eine schmale Brücke und schlenderte dann an der Alster entlang, auf der noch einige beleuchtete Boote unterwegs waren.
    Mit einem dicken Bündel unter dem Arm kehrte sie zum Binnenhafen und zu den Kaufmannshäusern am Kehrwieder
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