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Schneeflockenbaum (epub)

Schneeflockenbaum (epub)

Titel: Schneeflockenbaum (epub)
Autoren: Marten t Hart
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war. Ein unaufhaltsamer Redestrom wogte von morgens früh bis abends spät über ihre Lippen. Einmal saß sie bei uns im Wohnzimmer und quasselte in einem fort, während mein Vater die Zeitung und ich ein Buch las. Mein Vater schaute ziemlich zerstreut von seiner Lektüre auf und sagte zu mir: »Schalt mal das Radio aus.«
    Mit einer solchen Mutter verlernt man logischerweise das Sprechen, aber wer hätte ahnen können, dass nach dem Tod ihres zweiten Mannes die Sprachgene, die sie von ihrer Mutter geerbt haben musste, plötzlich Wirkung zeigen würden. Vielleicht hatte sie ja immer schon sprechen wollen, aber ihre beiden Männer hatten ihr den Mund verboten? Wie dem auch sei, als wir auf der langen Rückfahrt wieder vorne im Bus nebeneinandersaßen, da erzählte sie mir plötzlich, vollkommen unerwartet, ihre Geschichte.
    »In gewisser Weise«, hob sie an, »ging ich ja schon mit Siem, bevor ich deinen Vater kennenlernte, na ja, zusammen gehen, das ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt, aber wir beide konnten uns gut leiden, und kurz vor meinem siebzehnten Geburtstag, da fragte er mich: ›Christa, gibt es etwas, womit ich dir zu deinem Geburtstag eine Freude machen kann?‹ ›Unsere Nachbarn‹, erwiderte ich, ›die haben so einen schwarzen Hund, und immer wenn ich mit dem Fahrrad an ihrem Haus vorbeikomme, dann rennt er laut bellend hinter mir her und schnappt nach meinen Waden. Ich habe meine Brüder schon so oft gebeten, dem Köter einen tüchtigen Tritt zu verpassen, sodass er zum Krüppel wird und nicht mehr auf die Idee kommt, nach mir zu schnappen. Aber das wollen sie nicht, sie sind total verrückt nach dem Vieh, sie streicheln und herzen das Miststück, und ab und zu geben sie ihm sogar eine Speckschwarte. Wenn du also das Tier zu meinem Geburtstag zum Krüppel treten würdest, dann wäre ich dir sehr dankbar.‹ Darauf erwiderte er: ›Soll ich den Hund heimlich für dich ersäufen?‹ Ich sagte: ›Nein, Siem, das muss nicht sein, das ist ein wenig zu drastisch, und die Nachbarn sind auch ziemlich verrückt nach dem Hund, also, lass das mal lieber.‹ Aber er fuhr daraufhin ein paarmal mit mir am Nachbarhaus vorüber und sah, dass ich jedes Mal ganz panisch wurde, wenn der Hund knurrend hinter mir herrannte. Eines Tages war die Töle verschwunden. Alles haben die Nachbarn nach ihrem Hätschelhund abgesucht. Ich fragte mich, ob Siem das Tier hatte verschwinden lassen, aber ich traute mich nicht, ihn zu fragen. Und er sagte auch nichts dazu. Erst als ich ihn anrief, um ihm Beileid zu wünschen, hat er mir gestanden, dass er den Hund damals an einem dunklen Winterabend gefangen und in einen Jutesack gesteckt hat. Zwei große Ziegelsteine hat er noch dazugepackt und den zugebundenen Sack in den Kanal geworfen. Ich sagte: ›Siem, ich wusste, dass du es getan hattest, und dafür bin ich dir heute noch dankbar.‹«
    Meine Mutter schwieg einen Moment, sah mich von der Seite her an und sagte dann anklagend: »Ja, du hast auch so eine schwarze Töle.«
    »Wenn jemand meinen Hund in einem Jutesack ersäufen würde, dann würde ich ihm zuerst die Augen ausstechen, dann die Ohren abschneiden, ihn würgen und vierteilen, und anschließend würde ich die Körperteile verbrennen«, sagte ich.
    »Du weißt nicht, wie das ist, jedes Mal von so einem Scheißköter angebellt zu werden. Dein Hund hat auch so grelle Augen. Wenn du ihn nicht festhalten würdest, dann würde er sofort auf meine Waden losgehen.«
    »Aber nicht doch, mein Hündchen hat noch niemanden gebissen.«
    »Ich hab’s nicht so mit Hunden.«
    »Aber Katzen magst du doch bestimmt?«
    »Auch nicht. Ich mag Tiere generell nicht besonders, Mücken, Spinnen, Asseln, Kühe, Schafe, Ziegen, Pferde ... Warum der Herr bloß Tiere erschaffen hat, das verstehe ich nicht. Weißt du noch, dass dein Vater einmal gesagt hat: ›Ein Pferd kann man mehr lieben als eine Frau.‹ Aber so ein Pferd, das lauert doch nur darauf, dir einen Tritt zu verpassen. Dein Vater hat tatsächlich bei Loosduinen auch einmal so einen Tritt abbekommen, und seitdem hinkte er mit dem linken Bein. Ach, ach, dein Vater! Eines Sonntags fuhr ich mit dem Rad zum Gottesdienst ...
    »Am Sonntag?«, fragte ich. »Bist du dir da sicher? Du durftest sonntags doch nicht Rad fahren.«
    »Ja, das stimmt, du hast recht, wie konnte ich das nur vergessen. Nein, es war nicht an einem Sonntag, es war an einem Mittwochabend, nach so einem Dankgottesdienst für die Früchte der Gärten und Felder, im
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