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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig
Autoren: Nicolas Remin
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am dritten Sonnabend im Februar im Palazzo Tron ein Maskenball veranstaltet – selbst im schlimmen Winter 1849, als die Österreicherdie Stadt belagert hatten. Vielleicht lag es an der hartnäckigen Regelmäßigkeit, mit der die Contessa den Ball stattfinden ließ, dass sich mit den Jahren ein Nimbus um den Maskenball der Contessa Tron gebildet hatte. Jedenfalls wurde die Gästeliste der Contessa mit jedem Jahr mondäner – und die Ausgaben für den Ball immer gewaltiger. Andererseits war nicht zu bestreiten, dass der Palazzo Tron, der die übrige Zeit des Jahres in einem komatösen Tiefschlaf vor sich hin dämmerte, in der Ballnacht wieder zum Leben erwachte. Dann erzeugten Hunderte von Kerzen und ein in Reifröcke und Contouches gekleidetes Publikum die Illusion, das galante Jahrhundert wäre nie zu Ende gegangen – jedenfalls so lange, bis der letzte Gast den Ball verlassen hatte und der Palazzo Tron mit der Morgendämmerung wieder in seinen Schlaf versank – wie ein Vampir, dachte Tron.
    «Vielleicht kann ich heute Nachmittag mit der Contessa reden», sagte er lustlos.
    In Alessandros Stimme lag jetzt eine Spur von Ungeduld. «Die Contessa möchte jetzt mit dir darüber sprechen.»
    «Ich habe Kopfschmerzen.»
    «Das hatten wir bereits letzten Sonntag.»
    «Mir ist schwindlig.»
    «Das hatten wir Freitag.»
    «Sag, dass ich dienstlich aus dem Haus muss.»
    «Ich habe der Contessa versprochen, dass du dir heute Vormittag Zeit dafür nimmst, Alvise.»
    Tron, inzwischen in Hose und Weste, war vor den Waschtisch getreten. Das Wasser in der Schüssel dampfte und roch angenehm nach Lavendel. Er tauchte den Lappen hinein und betupfte seine Augen und seinen Mund. «Diese Maskenbälle ruinieren uns noch», seufzte Tron. Dann legte er den Waschlappen auf die Marmorplatte des Waschtisches und spritzte sich ein wenig
Eau de Cologne
(das echte von
Farina Gegenüber
) in den Halsausschnitt. «Für den Putz zum Rio Tron hin ist kein Geld da. Aber für Lohndiener, Appetithäppchen und Champagner.»
    Der Dampf aus der Schüssel hatte die untere Hälfte des Spiegels über dem Waschtisch beschlagen, sodass Tron sein Gesicht nur von der Oberlippe an klar erkennen konnte: die große Nase, darüber ein Paar blasse blaue Augen, die ihn unter leicht gesenkten Lidern anblickten und den Eindruck von Müdigkeit und Skepsis vermittelten.
    Alessandro war neben Tron getreten und hielt ihm den Gehrock entgegen. «Hast du mit der Contessa über die Gästeliste gesprochen?», fragte Alessandro.
    «Nein.»
    «Dann weißt du es also noch nicht.»
    «Was?»
    «Dass sie auch Oberst Pergen einladen will.»
    «Pergen?»
Tron schüttelte ungläubig den Kopf. «Woher kennt sie Pergen überhaupt?»
    «Sie hat den Oberst vor ein paar Tagen bei Nicolosa Priuli getroffen.»
    «Dass Nicolosa Priuli Pergen empfängt, ist erstaunlich.»
    «Weil Pergen Chef der Militärpolizei ist?», fragte Alessandro.
    «Weil Nicolosa Priulis Bruder mit Garibaldi in Sizilien war und jetzt in Turin für den
Comitato Vèneto
arbeitet», sagte Tron. «Warum, in aller Welt, will die Contessa Pergen einladen?»
    «Wegen der Villa in Dogaletto. Die Contessa hat sich über die niedrige Pacht beklagt, die die Armee für das Haus zahlt, und Oberst Pergen hat versprochen, mit dem Generalquartiermeister zu reden», erwiderte Alessandro. «Wir sind pleite, Alvise. Die Contessa muss noch die Musiker bezahlen, und sie weiß nicht, wie.»
    «Warum sagt sie mir nichts?»
    Alessandro zuckte die Achseln. «Weil sie genau weiß, wie du über den Ball denkst. Sind die Mieten schon kassiert worden?»
    «Bei Volpis, bei Bianchinis, bei Marcovic, bei Goldinis und bei Cestos war ich gestern. Bei Widmans tropft es wieder von der Decke. Da kann ich schlecht kassieren.» Tron dachte einen Moment lang nach. Dann sagte er: «Wir könnten den Tintoretto im grünen Salon verkaufen.»
    «Wieder an Sivry?»
    «Sivry hat immer gut gezahlt. Und sein Geschäft geht glänzend. Er hat den angrenzenden Laden dazugemietet. Immer mehr Kundschaft kommt aus den großen Hotels.»
    «Das ist der letzte Tintoretto, den wir noch haben», gab Alessandro zu bedenken.
    Tron warf ihm einen amüsierten Blick zu. «Wir haben schon lange keinen Tintoretto mehr. Im grünen Salon hängt eine Kopie. Das Original ist vor hundert Jahren nach Wien verschenkt worden. Aber das weiß Sivry nicht.» Er zupfte die Enden seiner dunkelblauen Halsbinde sorgfältig auf die gleiche Länge. «Was macht das Wetter?»
    Anstatt zu antworten,
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