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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig
Autoren: Nicolas Remin
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Schritte vom
Danieli
-Hotelentfernt. Es war ein weißer Raddampfer, das einzige Dampfschiff in einer langen Reihe von Segelschiffen, deren verschneite Takelagen sich bis zum Arsenal zu erstrecken schienen.

5
    Sergente Bossi, der Tron auf Deck entgegenlief, war viel zu aufgeregt, um korrekt zu grüßen. «Die Leichen sind in der Kabine», keuchte er.
    «Ist Dr.   Lionardo benachrichtigt worden?»
    Bossi schüttelte den Kopf. «Ich wollte ohne Sie nichts unternehmen, Commissario.»
    «Dann schicken Sie jemanden los. Wie viele Leute haben Sie hier?»
    «Nur noch Foscolo. Der steht unten vor der Kabine.»
    «Dann soll Foscolo den Doktor holen», entschied Tron. «Weiß man, wer die Toten sind?»
    «Ein Hofrat Hummelhauser aus Wien und eine junge Frau. Der Hofrat ist erschossen worden, und die junge Frau wurde erwürgt. Commandante Landrini wartet unten im Bordrestaurant auf Sie, Commissario.» Tron nahm das als Aufforderung, alle weiteren Fragen an Landrini zu stellen, und so war wohl auch die Geste Bossis zu verstehen, der mit der Hand auf den Eingang zum Bordrestaurant deutete.
    Tron fand Landrini an einem der Tische, wo der Commandante mit andächtiger Miene eine Cremeschnitte verspeiste. Außer dem Kapitän hielten sich zwei weitere Personen im Bordrestaurant auf, ein älterer Mann im grünen Tuchfrack der Lloydstewards und ein Zwerg, der einen rotenKittel trug. Beide waren damit beschäftigt, Gläser in das Buffet zu räumen.
    Landrini erhob sich, als er Tron in der Tür erblickte. «Es tut mir Leid, Commissario», sagte er, als sie sich die Hand gaben, so als hätte er höchstpersönlich zwei seiner Passagiere umgebracht, nur um Trons Sonntagsruhe zu stören. Landrinis Händedruck war so kräftig, dass Tron glaubte, er könne das Splittern der Knöchelchen in seiner Hand hören.
    Erst jetzt fiel ihm auf, dass er mitten in einer Pfütze stand und dass an der Backbordseite des Bordrestaurants Haufen von Glas zusammengekehrt worden waren. Eines der Restaurantfenster war zersplittert, und durch die Scherben hindurch sah Tron die Takelage des Schoners, der neben der
Erzherzog Sigmund
angelegt hatte. Ein paar Möwen flogen auf und wirbelten Schnee von den Rahen.
    «Was ist mit Ihrem Schiff passiert?», fragte Tron.
    Landrini zuckte die Achseln. «Wir sind in einen Sturm geraten. Es war verdammt knapp.» Er lächelte. «Kommen Sie. Ich bringe Sie hin.»
    Landrini ging voraus, und Tron folgte ihm in einen Gang, an dem die Kabinen der ersten Klasse lagen. Vor der vierten Tür auf der rechten Seite blieb er stehen. Dann schloss er auf und trat beiseite.
    Obwohl die Vorhänge vor den beiden Bullaugen aufgezogen waren, war es in der Kabine nicht viel heller als auf dem Gang. Während des Sturms schien Feuchtigkeit eingedrungen zu sein; sie hatte die Luft der Kabine in den warmen Dunst eines Gewächshauses verwandelt. Über allem hing ein Geruch von Parfum und abgestandenem Zigarrenrauch. Auf der linken Seite der Kabine sah Tron eine Nische, deren Vorhang geschlossen war.
    «Auf dem Bett», sagte Landrini. Es war klar, was er meinte.
    «Wer hat die Leichen gefunden?», erkundigte sich Tron.
    «Die Putzfrau.»
    «Wann?»
    «Kurz vor elf Uhr. Sie hat so laut geschrien, dass wir alle angerannt kamen. Wir mussten sie nach Hause schicken, weil sie unter Schock stand.»
    «
Wer
kam angerannt?»
    «Moosbrugger, Putz, ein Matrose, der auf Deck war, und ich. Moosbrugger und Putz sind die beiden Stewards. Putz ist der Zwerg.»
    «Stand der Vorhang offen?»
    Landrini nickte.
    «Wer hat ihn geschlossen?»
    «Moosbrugger.»
    «Dann bringen Sie ihn in die Position, in der Sie ihn vorgefunden haben», sagte Tron. Er trat einen Schritt zur Seite, um Landrini an sich vorbeizulassen.
    Der Vorhang aus rotem Samt schloss nach unten mit einer Reihe goldener Fransen ab und erinnerte Tron an die Vorhänge der Puppentheater, die an schönen Tagen auf dem Campo Santa Margherita aufgestellt wurden. Anstatt Tron den Rücken zuzuwenden, schob sich Landrini seitlich vor das Bett, als er den Vorhang zurückzog. Das erforderte eine kleine Verrenkung, aber offenbar wollte Landrini es vermeiden, einen Blick auf die Leichen zu werfen. Tron trat einen Schritt heran, und was er sah, schockierte ihn weniger, als er erwartet hatte.
    Niemand konnte auf den Gedanken kommen, dass der Mann und das Mädchen nur schliefen, dafür waren die Zeichen eines gewaltsamen Todes zu deutlich: die Einschüsse im Kopf des Mannes, die Würgemale am Hals des Mädchens, die
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