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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig
Autoren: Nicolas Remin
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verwandt. Sie hat mir geschrieben, und daraufhin habe ich sie eingeladen. Es wundert mich, dass du den Namen der Oberhofmeisterin der Kaiserin nicht kennst.»
    «Wir haben nichts mit der Kaiserin zu tun», sagte Tron. «Für die Sicherheit der kaiserlichen Familie ist Toggenburg zuständig.»
    «Der Gerüchteküche zufolge» – in der sie fleißig den Löffel zu schwingen schien – «wäre der Stadtkommandant froh, wenn die Kaiserin wieder abreiste», sagte die Contessa. «Franz Joseph», fuhr sie lebhaft fort, «hätte die Kaiserin ohnehin lieber bei sich in Wien. Sie durfte nicht länger auf Korfu bleiben und wollte nicht zurück in die Hofburg. Also hat man sich auf Venedig geeinigt.»
    «Woher stammt das?», erkundigte sich Tron.
    «Von Loretta Pisani. Sie kennt einen Leutnant aus dem Gefolge der Kaiserin. Hast du sie mal gesehen?»
    «Nur kurz, als sie im Oktober ankam», sagte Tron. «Ich war dabei, als sie von Bord ging. Sie ist groß und schlank. Soll das mein Frühstück sein?»
    Die Contessa quittierte diese Frage mit einem misstrauischen Blick. Auf dem Teller, den sie ihm hingeschoben hatte,lagen drei Löffelbiskuits. Tron war sich sicher, dass die Contessa vergeblich versucht hatte, die trockenen Biskuits an den Dackel zu verfüttern. «Beeil dich, wir wollen anfangen», gab sie kurz zurück.
    In Trons Mund gab es einen unangenehmen Knacks, als er in einen der steinharten Löffelbiskuits biss. Mit dem Zeigefinger prüfte er seinen Schneidezahn. «Wir fangen an, wenn Alessandro mit dem Kaffee gekommen ist», sagte Tron.
     
    Als aber Alessandro ein paar Minuten später die Tür des Salons öffnete, brachte er nicht das Tablett mit dem Kaffee, sondern blieb auf der Schwelle stehen. Sein Gesichtsausdruck ließ auf keine guten Nachrichten schließen. «Unten am Wassertor ist jemand von der Wache», sagte er ein wenig außer Atem.
    «Und was will er?»
    Alessandro räusperte sich. «Auf dem Lloyddampfer aus Triest sind heute Morgen zwei tote Passagiere entdeckt worden. In einer Kabine der ersten Klasse.» Es war nicht klar, ob das Bedauern in seiner Stimme sich auf die Toten bezog oder darauf, dass Tron jetzt nicht dazu kommen würde, das versprochene Gespräch mit der Contessa zu führen.
    «Ein Unfall?»
    Alessandro schüttelte den Kopf. «Sie sind ermordet worden», sagte er. «Du sollst sofort kommen.»
    Tron sprang auf. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihm, dass es aufgehört hatte zu schneien, obwohl der Himmel immer noch voller dunkelgrauer Wolken war. Der letzte Mord im Sestiere San Marco hatte sich im Sommer vor zwei Jahren ereignet, als ein Gastwirt an der Piazza San Stefano den Liebhaber seiner Frau erstochen hatte. Tron hatte den Fall praktisch an Ort und Stelle aufklären können – derMann hatte noch am selben Tag ein Geständnis abgelegt. Aber ein Mord auf einem Lloyddampfer war eine Nummer größer, und Tron war sich nicht sicher, ob er es unter diesen Umständen nicht vorgezogen hätte, mit der Contessa über die Rückläufe auf die Balleinladung zu reden. «Ich fürchte, ich muss weg», sagte er.
    «Und wann hast du Zeit für mich?», fragte die Contessa in gekränktem Ton, so als wäre dies alles eine Intrige Trons, die einzig den Sinn hatte, sich um das Gespräch zu drücken.
    «Heute Abend», sagte Tron.
     
    Eine halbe Stunde später stieg Tron am Molo aus der Gondel. Es war Punkt zwölf. Die Batterie auf der Isola di San Giorgio feuerte ihren mittäglichen Salut, und über der Kanone erhob sich ein kleines Rauchwölkchen.
    Die Stadt war belebter, als Tron bei der Kälte erwartet hatte. Von allen Seiten strömten Menschen auf den Markusplatz, bildeten Ansammlungen vor den Cafés, fütterten Tauben oder riefen nach Kindern, die in der Menschenmenge verschwunden waren. Kaiserliche Offiziere, die weißen Offiziersmäntel lässig über die Schultern gehängt, standen in kleinen Gruppen zusammen und rauchten. Stände waren aufgeschlagen, an denen
galàni
verkauft wurden, Streifen aus süßem Teig, die in Schmalz gebacken und anschließend gezuckert wurden; daneben standen die Buden der
frittolini
, die warme Polenta mit frittiertem Fisch anboten. Der Schnee war größtenteils geräumt worden. Er lag in großen Haufen vor den Arkaden der Biblioteca Marciana und unter dem Baugerüst vor dem Moloflügel des Dogenpalastes. Kinder kletterten auf den Schneebergen herum und bewarfen sich mit Schneebällen.
    Die
Erzherzog Sigmund
lag fast unmittelbar hinter dem Ponte della Paglia, nur ein paar
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