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Schnee in Venedig

Schnee in Venedig

Titel: Schnee in Venedig
Autoren: Nicolas Remin
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irritieren als die beiden Leichen, die sie eben gefunden hatten.
    «Was bringt Sie dazu, als Steward zu arbeiten, Moosbrugger?»
    Moosbruggers Augenbrauen hoben sich. «Ich muss meinen Lebensunterhalt bestreiten, Commandante.»
    «Der Conte ebenfalls», sagte Landrini.

3
    Der Dackel der Contessa, eine sechzig Zentimeter lange, sabbernde Röhre, hatte sich durch den Türspalt gezwängt und hechelnd Trons Schlafzimmer durchquert. Auf dem Bettvorleger sprang er ab und landete auf Trons Laken, doch bevor seine feuchte Zunge Trons Gesicht erreichen konnte, schleuderte ihn ein energischer Fausthieb auf den Bettvorleger zurück.
    Einen kindischen Augenblick lang war Tron stolz darauf, wie schnell und präzise er reagiert hatte: sich auf den Rücken gedreht und die geballte Faust nur nach Geräusch nach vorne schnellen lassen. Und dann –
wumm!
– den Köter voll in die Rippen getroffen, ihm vielleicht sogar ein paar Rippen
gebrochen
– nicht schlecht für einen Mann, der direkt aus dem Tiefschlaf kam, dachte Tron.
    Er schloss die Augen, atmete heftig aus wie nach einerschweren Anstrengung und ließ sich wieder in die Kissen sinken. Der Hieb hatte ihn erschöpft. Tron fühlte sich auf einmal sehr müde – nicht nur übernächtigt. Es war die Müdigkeit gelebter Jahrhunderte, die sich in ihm eingenistet hatte und die kein Schlaf stillen konnte. Lange bevor dieser Palazzo gebaut worden war, in einer Zeit, als der größte Teil der Lagunenstadt noch aus schilfbedeckten Inseln bestand, hatten die Trons bereits in diesem Teil Venedigs gewohnt. Die Trons waren ein sehr altes Geschlecht. Sie waren so alt, dass es Tron manchmal fast peinlich war.
    Als er die Augen wieder aufschlug, konnte er in unbestimmter Entfernung zwei blasse Striche aus mattem Licht erkennen – die dünnen Lichtstreifen, die sich morgens oberhalb der Fenstervorhänge zeigten.
    «Er wollte dir nur einen guten Morgen wünschen», sagte eine Stimme.
    Tron drehte den Kopf und sah, dass Alessandro, Kammerdiener und Faktotum des Hauses, sein Schlafzimmer betreten hatte. Über seinem linken Arm lag ein Handtuch, in seiner rechten Hand trug er eine Kanne. Er durchquerte das Halbdunkel des Raumes (Tron hoffte, dass nichts auf dem Boden lag, was Alessandro ins Stolpern bringen konnte) und blieb vor dem Waschtisch stehen. Dann goss er das Wasser aus der Kanne in die Schüssel, und anschließend hörte Tron das vertraute Geräusch, mit dem Alessandro den Porzellankrug auf die Marmorplatte des Waschtisches stellte. Im Winter war das Wasser, das Alessandro ihm morgens brachte, warm.
    Tron hatte sich aufgerichtet und hielt sein Nachthemd, auf dessen Vorderseite das Wappen der Trons eingestickt war, frierend zusammen. Alessandro, hoch gewachsen und weißhaarig, begann die Kerzen zu entzünden, und das Schlafzimmer trat nach und nach aus der Dunkelheit hervor: eingroßer, spärlich möblierter Raum mit zwei Fenstern, vor denen zerschlissene Brokatvorhänge hingen. Neben dem Waschtisch stand ein Tafelklavier, darunter stapelten sich kniehoch Exemplare der Zeitschrift
Emporio della Poesia
, zu deren Herausgebern Tron gehörte. Die Stapel erklärten sich daraus, dass der Absatz der
Emporio della Poesia
zu Trons Kummer eher schleppend verlief, obwohl er bei jeder Gelegenheit um Abonnenten warb.
    «Wie spät ist es?» Tron saß auf der Bettkante und angelte mit den Füßen nach seinen Pantoffeln. Das Zimmer, das unter seinem Blick beunruhigend geschwankt hatte, als er sich aufrichtete, stabilisierte sich langsam.
    «Die Contessa erwartet dich zum Frühstück», sagte Alessandro, ohne sich umzudrehen. Er war damit beschäftigt, den gusseisernen Ofen in Gang zu setzen, der zwischen den immer noch verhängten Fenstern stand.
    «Ich wollte an der Piazza frühstücken», erwiderte Tron. Schon der Gedanke an den eisigen Salon der Contessa jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Die Räume in der Etage über ihm, der Ballsaal und die angrenzenden Salons, ließen sich der hohen Decken wegen im Winter kaum heizen.
    «Du hattest der Contessa versprochen, mit ihr die Antworten auf die Balleinladungen durchzugehen», sagte Alessandro. Jetzt stand er neben Tron und reichte ihm die Kleidungsstücke, so wie er einst Trons Vater die Kleidungsstücke gereicht hatte. «Der Ball findet nächsten Sonnabend statt.»
    Trons Kinn beschrieb eine unwillige Acht. Er warf Alessandro einen gereizten Blick zu. «Ich weiß, wann der Ball stattfindet», sagte er.
    Solange er zurückdenken konnte, wurde
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