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Schneckle im Elchtest

Schneckle im Elchtest

Titel: Schneckle im Elchtest
Autoren: Stefanie Ruehle
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einen Glimmstängel an. »Wie kommst du eigentlich nach Hause?«, wollte er mit einem schnellen Seitenblick von mir wissen, während er den Gestank senkrecht in die Luft blies. »Du bist doch viel zu blau, um noch selber zu fahren.«
    Ich nickte. »Das stimmt. Blöd. Ich nehme mir wohl ein Taxi. In dieser Ecke von Stuttgart fährt nur alle Jubeljahre mal ein Bus.«
    »Wenn du willst, kann ich dich fahren«, erklärte mir der Wunderknabe zu meinem großen Erstaunen. »Ich habe viel weniger getrunken als du. Wo wohnst du denn?«
    »In der Friedhofstraße, ganz in der Nähe vom Stuttgarter Bahnhof«, erklärte ich.
    »Von welchem? Von dem über- oder unterirdischen?«, wollte Steve wissen.
    »Darüber macht man keine Witze. Und Außerirdische sowieso nicht«, blaffte ich. »Das steht nur uns Stuttgartern zu.«
    Er zuckte mit den Achseln. »Mir ziemlich wurst, das ganze Rauf und Runter und wieder Rauf. Deine Wohnlage ist auf jeden Fall praktisch. Ich könnte dich heimfahren und bin von dort in einer Viertelstunde zum Chinagarten in der Birkenwaldstraße gelaufen. Da wohne ich gerade.«
    »Respekt«, murmelte ich beeindruckt. »Der Herr Verleger scheint ganz schön tief für dich in die Tasche zu greifen.«
    Wir grinsten uns an.
    »Dann machen wir das wohl so.« Ich kramte nach dem Autoschlüssel und warf ihn Steve zu. »Da drüben steht das gute Stück.« Ich wies mit meinem Kinn in Richtung eines nachtblauen E-Klasse-Coupés.
    Steve hielt an und pfiff durch die Zähne. »Fragt sich, wer hier die Connections zum Herrn Verleger hat!«
    Ich winkte ab und erklärte lässig: »In Stuttgart fährt jeder Hartz-IV-Empfänger, Student und Azubi so ein poplig kleines Mercedes-Coupé. Du solltest mal die Schlachtschiffe sehen, mit denen die erwachsenen Stuttgarter herumkurven. In meiner Verwandtschaft tut es keiner unter einer S-Klasse.«
    Insgeheim dachte ich mit leise schlechtem Gewissen an die rostigen Passate und Opel, die meine Onkel und Tanten eigentlich fuhren und jedes zweite Jahr wieder und wieder mit ätzendem Schwaben-Charme durch den TÜV prügelten. Aber Steve nahm mir den ganzen hanebüchenen Schwachsinn so schön naiv ab, dass es eine Schande gewesen wäre, ihn nicht ordentlich anzuschmieren.
    Jetzt konterte er auch noch ganz kleinlaut: »In meiner Familie gibt’s so was gar nicht. Die fahren alle rostige VW-Busse, Toyotas und Enten aus den Siebzigern. Aber Geld ist ja nicht alles. Meine Verwandten sind dafür alle bei Film, Funk und Fernsehen. Nobelpreisträger, Verleger und so was. Da wäre ein Mercedes-Schlachtschiff eher schlecht fürs Image.«
    Nun war es an mir, mit großen Augen ein langes Gesicht zu machen. »In meiner Verwandtschaft tummeln sich bloß Mechatroniker, Gärtner, Flaschner und haufenweise Sekretärinnen. Ich bin das schwarze Schaf, weil ich nichts Vernünftiges gelernt, sondern bloß studiert habe. Alle warten jetzt darauf, dass ich einen braven Mann mit eigenem Betrieb kennen lerne und ihm den Haushalt und das Büro führe.« Ich rollte mit den Augen. »Ein Bäcker wäre schön. Der hätte sicher jeden Tag altes Brot übrig. Oder ein Metzger. Wo Fleisch doch so teuer ist. Außerdem würde der mich sicher endlich umerziehen – dass ich Vegetarierin bin, ist bis heute allen peinlich.«
    Steve schnaubte. »Ich habe schon einiges von der sonderbaren Mentalität von euch Schwaben gehört. Aber dass sich jemand für ein Studium schämt und sich nach einem Metzger sehnt, ist doch reichlich brutal.«
    Ich lachte. »Meiner Mutter wäre zur Not auch ein Zahnarzt recht. Sie hält große Stücke auf ein makelloses Gebiss.«
    Steve grinste mir schief zu und leckte mit seiner Zunge lasziv an seinem abgebrochenen Schneidezahn entlang. »Da hab ich ja Glück gehabt.«
    Hups! Meine Güte! Warum flirtete der denn mit mir? Auf einmal fiel mir wieder ein, dass ich ihm zu Beginn des grausamen Abends die romantische Rolle eines Piraten angedichtet hatte. Während der darauffolgenden Ereignisse hatte ich dann fast vergessen, dass mir dieser Simply-Red-Verschnitt eventuell sogar mächtig gut gefallen könnte!
    Vor mich hingrinsend wackelte ich schließlich in Schlangenlinien Richtung E-Klasse. Die natürlich nicht mir gehörte, sondern meinem schwulen Freund Marc-Oliver, genannt MO, dem stadtbekannten Germanistik-Professor, dem die hübschen Buben vertrauten. Studenten und Journalisten fuhren nämlich auch in Stuttgart höchstens Corsa. Und meiner hatte gestern bei einem Ausweichmanöver eine unschön heftige
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