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Tränen aus Feenstaub

Tränen aus Feenstaub

Titel: Tränen aus Feenstaub
Autoren: Natascha Artmann
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    Eine leichte Sommerbrise spielte mit Pinas kastanienbraunen Haaren. Sie hatte die Augen geschlossen und das Gesicht dem Meer zugewandt. Der Wind streichelte ihre Haut und ein warmes angenehmes Gefühl breitete sich in ihr aus.
    Sie liebte das Meer, den Strand, den Sand. Sie liebte die Geräusche der Wellen, wenn sie sanft an die Küste rollten. Und sie liebte den Geruch, der mit dem Ozean verbunden war. Es war einfach schön, nur hier zu stehen und all die Dinge in sich aufzunehmen, die sonst so weit entfernt von ihr waren. Sie wollte nur fühlen, das in sich aufnehmen, was nur mit geschlossenen Augen wirklich möglich war. Sich von nichts und niemandem dabei stören lassen.
    Aber ihr selbst erschaffenes Paradies konnte sich leider nicht vor Eindringlingen schützen. Denn auch wenn sie es nicht aufgeben wollte, waren andere aus Unwissenheit dazu entschlossen, sie hier herauszureißen. Es war nicht fair, sich in ihre Gedanken zu drängen und ihre Welt dadurch verschwinden zu lassen.
    „Pina?“
    Sie wollte sich weigern, dem sanften leisen Ruf zu folgen, und die Augen nicht öffnen. Sie wollte doch so gerne noch hier bleiben, das warme angenehme Gefühl auskosten. Sie wollte doch weiter die Sommerbrise auf ihrer Haut spüren und dem Rauschen des Meeres lauschen. Aber sie konnte sich nicht länger an diese Illusion klammern.
    „Pina, Liebes, wach auf!“
    Den Worten ihrer Mutter durfte sich Pina nicht länger entziehen. Sie musste reagieren und ihre Traumwelt verlassen. Aber das fiel ihr von Mal zu Mal schwerer. Denn die reale Welt konnte sich mit ihrer nicht messen. Und nur der Kummer ihrer Mutter brachte sie dazu, nicht zu bleiben, wo sie sein wollte.
    „Ich bin wach, Mama“, gab Pina noch mit geschlossenen Augen zu. Aber auch diesen Schutz vor der Realität musste sie aufgeben und sich den Tatsachen stellen.
    Ihr erster Blick fiel auf den Infusionsständer, ihr zweiter Blick auf die Wand gegenüber dem Bett. Die weißen Krankenhausmauern waren kaum noch zu sehen, fast die ganze Fläche war mit selbstgemalten Zeichnungen, Karten und Postern bedeckt. Ein buntes Durcheinander von Mangazeichnungen, Kritzeleien ihrer beiden kleinen Schwestern und Grußkarten ihrer Klassenkameraden, war das Erste, was sie am Morgen zu sehen bekam, wenn sie erwachte.
    Es machte sie glücklich und traurig zugleich. Glücklich, dass es so viele Menschen gab, denen sie wichtig war und traurig, dass sie das auf diese Weise herausfinden musste.
    Pinas Blick ging zu ihrer Mutter, die am Fußende des Bettes saß und sie fröhlich anlächelte. Doch wenn man genauer hinsah, konnte man die Traurigkeit hinter ihrem Lächeln entdecken.
    „Ich habe eben die Kleinen im Kindergarten abgeliefert“, begann sie mit ihrem Bericht über die heimatlichen Tagesabläufe. Pina sollte jede Kleinigkeit miterleben, selbst wenn sie nicht daran teilnehmen konnte. Daher schilderte ihre Mutter ihr alles, was ihre Schwestern an diesem Morgen schon angestellt hatten.
    „Bea wollte heute unbedingt ihren rosa Strohhut aufsetzen. Dabei hat es draußen minus zehn Grad. Aber sie war nicht davon abzubringen!“
    Pina musste bei dieser Vorstellung unwillkürlich grinsen. Ihre kleine Schwester Bea konnte unerbittlich sein, wenn sie etwas wollte. Und wenn ihr im tiefsten Winter nach einem Sommerhütchen war, dann war das nun einmal so. Für Kompromisse konnte man sie nicht begeistern.
    „Wie ist das denn im Kindergarten angekommen?“
    Pina vermutete zu Recht, dass es hier ein Nachspiel gegeben hatte.
    „Frag lieber nicht!“, stöhnte ihre Mutter jetzt mit echtem Humor in der Stimme. „Ich denke, die anderen Mütter wollen mich jetzt lynchen, weil ich ihr dieses Hütchen nicht ausreden konnte!“
    Das hörte sich nach einer durchaus interessanten Geschichte an. „Und?“, wollte Pina es genauer wissen.
    „Jedes der Kindergartenkinder hatte plötzlich den dringenden Wunsch, seine Sommergarderobe anzuziehen!“
    „Und wie haben die lieben Kleinen diesen Wunsch geäußert?“
    „Du meinst, außer sich auf den Boden zu werfen und laut zu kreischen?“
    Pina nickte. Dieses Verhalten kannte sie von Bea und Rike zur Genüge. Ihre Mutter überlegte, welches die eindrucksvollste Reaktion eines Kindes gewesen war.
    „Ich denke, das Beste war ein Mädchen, das versuchte, mit einer Bastelschere ihre Jeans in eine kurze Hose zu verwandeln.“
    „Sehr eindrucksvoll!“, lobte Pina ernst.
    Die Geschichten aus dem Kindergarten gehörten zum Highlight ihres Tages. Und sie
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