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Schneckle im Elchtest

Schneckle im Elchtest

Titel: Schneckle im Elchtest
Autoren: Stefanie Ruehle
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Tagen quasi ununterbrochen geregnet hatte. Genauer gesagt: Es hatte getröpfelt, genieselt, gegraupelt – was mitten im August wirklich bemerkenswert war – und wie aus Eimern geschüttet.
    Seit drei Stunden gab ich nun doch gezwungenermaßen meine ganz persönliche Vorstellung von dem Mädchen aus dem Meer und matschte die Landstraße von Lönneberga über Bullerbü in Richtung Takatuka-Land oder wie die Käffer mit den durchgestrichenen oder überkringelten »O« und »A« hier hießen. Jedes Zeichen von Zivilisation wäre mir dabei höchst willkommen gewesen. Mir hätten sogar ein paar Reklametafeln gereicht. Die passenden Sprüche dafür hatte ich parat: »Besuchen Sie Småland. Dann war in diesem Jahr wenigstens einer da.« Oder: »Besuchen Sie Småland. Damit Sie den Ballermann wieder zu schätzen wissen.« Und natürlich: »Besuchen Sie Småland. Danach brauchen Sie sich ein Jahr lang nicht mehr zu waschen.«
    Es war nicht auszuhalten. Irgendwas musste ich tun. Etwas Sinnvolles.
    »Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarg!«
    Schreien war, trotz anderslautender Behauptungen weniger emotionaler Menschen, auf jeden Fall sinnvoll. Deshalb brüllte ich Schweden alias Waterworld für Geisteskranke meinen Frust und dann sämtliche mir bekannten Flüche entgegen, auf Deutsch, Englisch und Französisch. Wozu hatte ich schließlich studiert? Schade, dass der Wald nur Schwedisch verstand. Trotzdem ging es mir jetzt ein bisschen besser.
    Ein bisschen. Denn Petrus verpasste Schweden weiterhin eine kalte Dusche. Einen Moment lang versuchte ich mir vorzustellen, wie sich trockene Füße anfühlten. Das war leider völlig sinnlos. Diese Füße würden in meinem ganzen Leben nicht mehr trocknen. Stattdessen würden mir in exakt drei Minuten Schwimmhäute wachsen. Damit konnte ich mich dann im Zirkus bewerben. Im Kuriositätenkabinett. Ich hörte schon den Ansager brüllen: »Meine Damen und Herren, sehen Sie heute die Frau mit den Schwimmhäuten! Betrachten Sie das einzige lebende menschliche Wesen mit echten Schwimmfüßen!« Und wer war schuld dran? Derjenige, der mir das alles eingebrockt hatte: Steve. Seine Nase würde irgendwann heilen. Aber ich musste den Rest meines Lebens mit Schwimmhäuten herumlatschen.
    »Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaarg!«
    Zwar kam schon wieder keine Antwort. Es war sogar ausgesprochen einsam auf der Straße. Aber das Brüllen war wirklich gut, deshalb drehte ich den Lautstärkeregler weiter auf: »Steve, du bist das Allerletzte. So ein Schwachsinn, nach Schweden zu fahren! In ein Land, dessen Volksheld ein verhaltensauffälliger blonder Rotzbengel mit ADS ist und hier auch noch Emil heißt!«
    Das Schreien war ganz schön anstrengend. Deshalb motzte ich eine Zeitlang etwas moderater vor mich hin: »So einen entvölkerten Mist gibt es bei uns zuhause nicht. Da passiert ständig und überall was!« Jetzt kam ich in Fahrt: »Ha! Bei uns, da gibt’s Verkehr. Oh ja. Unglaublich viel Verkehr. Alles ist voller Verkehr! Car-Sharing-Kutschen! Busse! Taxis! Züge! Und die, die stehen alle den ganzen Tag überall im Weg rum. Weil es sogar viel zu viele gibt! Fast so viele wie Baustellen. Große Baustellen. Riesige Baustellen! Das ist der Wahnsinn! Da ist was los, da kommt man zwar keinen Meter voran und verpestet mit dem Auto neben seinen Nerven auch die Luft. Aber man hat dabei wenigstens Gesellschaft! Denn Stuttgart ist nicht einfach nur voll – es platzt aus allen Nähten!«
    Der Wald antwortete ungerührt mit »Tropf, tropf, tropf«.
    Doch so schnell gab ich nicht auf: »Bei euch platzen nur die Schuhe, weil man ständig nasse Füße kriegt! Deshalb wohnen hier auch nur naturtrübe Lönnebengels. Armselig ist das, jawohl!!!«
    Jetzt war ich zwar ziemlich erledigt, aber immerhin war der schlimmste Zorn im grünen Nirwana verpufft. Einen Moment lang stand ich nur da und pumpte im Regen wie ein Maikäfer vor mich hin.
    Da drängte sich mir noch ein anderer Gedanke auf. Ein unangenehmer: Durch die nähere Beschäftigung mit der von mir sonst hoch geschätzten Astrid Lindgren und ihrer werten Romanfigur, die natürlich kein ADS hatte, weil es das vor neunzig Jahren noch gar nicht gab, fiel mir ein weiterer berühmter schwedischer Autor ein. Mankell. Henning Mankell. Gab es für all die grässlichen Morde, die dieser Mensch in aller Ausführlichkeit beschrieben hatte, eigentlich echte Vorbilder? Das würde bedeuten, dass sich die Jugend mit dem Schnitzen von Tausenden von Holzmännchen im
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