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Schneckle im Elchtest

Schneckle im Elchtest

Titel: Schneckle im Elchtest
Autoren: Stefanie Ruehle
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wie vor wortlos an. Das musste Schicksal sein. Dieselbe Frisur. Und dann auch noch diese schicksalhafte Gedankenübertragung – da machte es doch fast überhaupt nichts, dass er gerade mal einssiebzig und o-beinig war.
    Wir gingen hinein – und gönnten uns den Kulturschock des Jahres: Besoffene, mit Kostümen oft nur unzureichend bekleidete Rentner hingen in Menschentrauben aneinander und grölten, was die Lungen hergaben.
    »Ich glaube, ich brauche einen Schnaps«, entfuhr es mir.
    Steve zog eine Augenbraue hoch und grinste mich zum ersten Mal breit an.
    Mein Gott! Der Kerl hatte einen schräg abgebrochenen Schneidezahn, der ihn vom Zauberlehrling zum seriösen Filmschauspieler beförderte. Und zwar zum scharlachroten Piraten aus der Errol-Flynn-Flatterhemden-Ära. Meine Knie verwandelten sich gemeinsam mit meinem Hirn sachte zu Brei.
    Zum Glück packte der Pirat mich am Ellenbogen und schob mich vor sich her zur Bar. »Zwei Marillen, bitte«, bestellte er bei der grünhaarigen, missmutig dreinschauenden Meerjungfrau Ende sechzig. »Oder besser gleich zwei Doppelte.«
    Die Meeresoma hatte ein Einsehen mit dem Pumuckl-Piraten-Skifahrer und zauberte das Gewünschte aus ihrem Giftschrank.
    Als wir diese kleine Erlösung vor uns auf dem Tresen stehen hatten, klopfte mir schon wieder jemand von hinten auf meine Schulter. Ich drehte mich mit meinem besten »Du-nervst-Gesicht« um und fand mich Auge in Auge mit dem örtlichen Bezirksvorsteher wieder.
    »Oh! Ah! Herr Scheiffele, einen schönen guten Abend«, stotterte ich. »Ich wusste ja gar nicht, dass Sie auch hier sein müss..., dass Sie auch hier sein dürfen.«
    »Oh ja, ich darf«, seufzte der nette kleine, mittelalte Mann im grauen Anzug. Er nahm seine beschlagene Brille ab und legte sie neben meinen Schnaps auf den Tresen. Dann zitierte er das nicht mehr ganz so frische Meermädchen zu sich: »Tina, bring mir doch bitte dasselbe wie der Presse. Und für die bitte das Ganze gleich noch mal. Wir werden es alle noch brauchen können.«
    Wir grunzten ein zufriedenes Dankeschön, während er abwinkte und seinen Marillenschnaps an die Lippen setzte. Zum Trinken kam er nicht mehr. Eine mächtige Pranke landete krachend zwischen seinen Schulterblättern, der Schnaps auf dem Tresen.
    »Horschd, alder Schwede!«, brüllte der knapp zwei Meter große Berserker. »Komm bloß nichd auf den Gedanken, hier ohne mich zu saufen!« Der blonde Hüne Ende vierzig, der sich mit seinen Kuchenplatten-Händen, seinem gestelzten HalbHochdeutsch und seinem Zweimeterbrustkorb offensichtlich für einen James-Bond-Bösewicht hielt, lachte sich halb schlapp. »Willschd du mir des Mäusle und ihren, äh, Begleiter, ned vorschtellen?«
    Er versuchte mir zuzuzwinkern, was ihm aber mit seinen schätzungsweise neun Promille nicht besonders gut gelang. Er klappte abwechselnd ein Auge nach dem anderen auf und zu und verdrehte die Pupillen in den Kopf. Kein schöner Anblick.
    Horst Scheiffele seufzte ergeben. »Frau Schneck von der örtlichen Presse mit einem mir unbekannten Herrn.«
    »Labskaus«, brummte Steve.
    Keine Ahnung, was er damit sagen wollte.
    Der Bezirksmann fuhr ungerührt und ergeben fort: »Und das ist Herr Glöder, unser neuer Erster Vorsitzender des örtlichen Polizeisportvereins.«
    »So was! Des süße Mäusle ischt ein süßes Schneckle. Du kannscht ruhig Heinzi zu mir sagen«, kalauerte der Götz-Otto-Verschnitt.
    Was mir angesichts seiner nur verhalten geballten Manneskraft, die sich von den Knöpfen seines hautengen Hemdes kaum zurückhalten ließ, im Traum nicht eingefallen wäre. Mein Bedarf an kraftstrotzenden Tom-Jones-Doubles jenseits der Midlife-Crisis war auf einen Schlag gedeckt, ohne jemals akut geworden zu sein. Außerdem war es mit dem Piraten allein viel schöner gewesen.
    Ebendieser rollte entnervt mit den Augen, kippte sich die beiden Doppelten in Windeseile hinter die Binde und meinte reichlich gereizt: »Können wir das Ganze hier vielleicht etwas beschleunigen?« Sprach’s und verschwand Richtung Bühne, wo jetzt die frisch und nicht ganz so frisch pensionierten Funkenmariechen Aufstellung nahmen.
    Ich kippte die flüssige Frucht so schnell wie möglich hinterher, zuckte in Richtung des netten Bezirksvorstehers und nicht ganz so netten Muskelprotzes entschuldigend mit den Schultern und folgte »Ski heil« murmelnd meinem Schicksal.
    Die vom Lampenfieber gebeutelten Rentenmariechen hatten sich auch schon einiges genehmigt. Wie die Teenager hüpften sie
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