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Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten

Titel: Schmierfinken - Politiker ueber Journalisten
Autoren: Maybrit Illner , Hajo Schumacher
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Meinungsführern wie Franz Josef Wagner, Vordenkern wie Josef Joffe oder Edelfedern wie Dirk Kurbjuweit stehen: den Lokalredakteuren. Ihnen gebührt meine Anerkennung und mein Respekt, aber auch meine Kritik.
     
    Als Beispiel sei der Bundestagswahlkreis 122 (Recklinghausen I) genommen, der die im Norden des Ruhrgebiets
gelegenen Städte Recklinghausen, Castrop-Rauxel und Waltrop umfasst: Hier hat sich eine durchaus komplizierte Zeitungsvielfalt entwickelt. Jede Stadt hat im Grunde eine eigene Presselandschaft, die sich fast ausschließlich auf die jeweilige kreisangehörige Stadt konzentriert und die Nachbarstadt weitgehend ignoriert. Der Essener WAZ-Konzern ist in zwei der drei Städte mit der neuen Form von kreisweiter Berichterstattung quantitativ auf dem Rückzug, qualitativ aber aufgrund ausführlicher Reportagen - dem eigentlichen Meisterstück des Lokaljournalismus - gepaart mit innovativer Internetorientierung wie der Website www.derwesten.de auf dem Vormarsch. In der dritten Stadt, nämlich in Castrop-Rauxel, ist die WAZ mit einer klassischen Lokalredaktion vertreten. Das Konkurrenzblatt in dieser Stadt sind die Ruhr Nachrichten , die dem Verlagshaus Lensing-Wolff aus Dortmund gehören. Die eigentlichen Marktführer in Waltrop und Recklinghausen sind die Waltroper Zeitung und die Recklinghäuser Zeitung , die beide im in Familienbesitz befindlichen Medienhaus Bauer erscheinen. Dabei handelt es sich keineswegs um den hanseatischen Bauer-Verlag, sondern um den aus Marl. In allen drei Städten treten zusätzlich konkurrierende Anzeigenblätter aus wiederum verschiedenen Verlagshäusern gegeneinander an.
     
    Meinungsbildend ist laut Bodo Hombach die Zeitung, an der morgens beim Frühstück die Marmelade kleben bleibt. Nicht das Feuilleton, so anspruchsvoll und gut es auch sein mag. Nicht der verschachtelte Spiegel -Essay oder der geistreiche Kommentar bestimmen das Meinungsklima in den Wahlkreisen Deutschlands.
    Insofern kommt den Lokaljournalisten im realen Leben hohe Bedeutung zu. Sie sind die heimlichen Herrscher, die
mit ihren Artikeln großen Einfluss auf das örtliche und regionale Geschehen nehmen können. Sie sind - gewollt oder ungewollt - die Meinungsmacher und damit prägend für das Stimmungsbild. Sie wollen aber auch bewusst Meinungsmacher sein. Schließlich ist für die meisten Bürger wichtiger, was beispielsweise bei der CDU-Veranstaltung in Waltrop zum Bau der Bundesstraße 474n gesagt wurde, als von abstrakten Beschlüssen zum Politikfeld XY zu erfahren, die irgendwo in der weit entfernten Hauptstadt getroffen werden. Hinzu kommt, dass die Lokaljournalisten sehr nahe an ihren Lesern dran sind und dadurch die Themen aufgreifen, die die Bürger aktuell beschäftigen.
    Die bereits erwähnte Offenheit und das gegenseitige Vertrauen sind im Wahlkreis auch deshalb wichtig, weil auf engstem Raum - bei der Thekenkneipe angefangen, über den gemeinsamen Besuch einer Veranstaltung bis zum gemeinsamen Erleben eines Schützenfestes - ein ständiger Dialog zwischen Wahlkreispolitiker und Lokaljournalist stattfindet. Dabei haben es die Lokaljournalisten keineswegs leicht bei ihrer Berichterstattung. Schließlich gibt es häufig Ereignisse, für die der Reporter Stehvermögen besitzen muss. Pit Schneider etwa, seit vielen Jahren Lokalchef bei der Waltroper Zeitung , hatte vor einiger Zeit die Aufgabe, über den Neujahrsempfang der CDU Waltrop zu berichten. Doch in »Burbaums Dorftenne« beschränkte er sich darauf, seinen ursprünglich größer angelegten Artikel auf die Länge einer dreizeiligen Bildunterschrift zu verkürzen. Damit sowie mit dem abgedruckten Foto hatte er die wesentliche Botschaft des Ereignisses erfasst - der Leser verstand sofort: Die CDU hat auf das neue Jahr angestoßen. Dagegen soll es in Berlin bisweilen vorkommen, dass gestandene Hauptstadtjournalisten monatelang akribisch ein Porträt vorbereiten, dafür Interviews führen und
Gesprächstermine vereinbaren, ehe es diese Geschichte in die Illustrierte schafft, um dann von einer Langzeitstudie zu sprechen.
     
    Pit Schneider arbeitet ähnlich, aber zielorientierter. Es kann vorkommen, dass er an der Supermarktkasse oder an der besagten Kneipentheke etwas hört, es sich merkt, eine gewisse Zeit verschweigt, um es dann Monate später wie ein Ass aus dem Ärmel zu ziehen und es in einen beißenden Kommentar oder in eine hämische Karikatur einfließen zu lassen. Er kann zuspitzen wie die Bild -Zeitung an ihren besten Tagen und manchmal
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