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Schmetterlingsscherben

Schmetterlingsscherben

Titel: Schmetterlingsscherben
Autoren: Esther Hazy
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weggeschlossen, weil er keinen von uns mehr sehen wollte. Aber Bodo und Janus haben mir geholfen, rauszukommen.» Er lächelte tatsächlich ansatzweise und reichte mir nach der Flasche Wasser jetzt ein eingepacktes Sandwich. Ich schlang das Essen wie ein ausgehungerter Wolf hinunter und mir war danach so schlecht, dass ich mich beinahe in meinen eigenen Sarg übergeben hätte.
    «Kommt schon, wir sollten hier weg, bevor ein Friedhofsgärtner hier auftaucht.» Er hielt mir seine kleine, pummelige Hand entgegen und ich war erstaunt, wie kräftig die Statue wirklich war. Gemeinsam schafften wir es irgendwie aus dem Sarg und ich blieb einen Moment lang erschöpft auf dem Rasen liegen, um nach Luft zu schnappen, während Mercutio das Grab wieder zuschaufelte und dabei von Ramona angefeuert wurde.
    Nach einigen Minuten half ich ihm schließlich dabei und deckte die Erde mit den riesigen Blumenkränzen ab, die vorher darauf gelegen hatten. Da die Beerdigung noch nicht lange her war, sah die Erde ohnehin noch aufgewühlt aus und es fiel nicht weiter auf, dass jemand aus dem Grab gestiegen war. Ich richtete mich mit zittrigen Knien auf und kam nur ein paar Meter voran, weil ich jetzt tagelang nur starr gelegen hatte.
    Wenn mich in diesem Moment irgendwer gesehen hätte, hätte er mich vermutlich für einen Zombie gehalten.
    Ich kannte den Friedhof, es war der von Hannover und mein Grab war direkt neben dem von meiner Mutter. Ich war schon lange nicht mehr hier gewesen, aber irgendwie war es tröstlich zu wissen, dass meine Ma, wenn auch nur ihr toter Körper, die ganze Zeit bei mir gewesen war.
    «Hast du alles mitgebracht, was ich dir gesagt habe?», fragte ich Mercutio, weil ich mich selbst nur noch vage an meine hastigen Anweisungen erinnerte, die ich ihm in all dem Chaos damals in Susannes Haus zugeraunt hatte.
    «Natürlich. Ich bin ja deutlich intelligenter als dieser Clown. Ich verstehe schon, warum du mich damit beauftragt hast und nicht ihn.» Es klang ein wenig Stolz in seiner Stimme mit und ich hielt es für das Beste, ihm zu verschweigen, dass ich Bodo nur nicht gefragt hatte, weil er mit seinen Stoffarmen wohl kaum dazu in der Lage gewesen wäre, ein Grab auszuheben. Und ein kleines Bisschen vielleicht auch, weil ich nicht unbedingt als Erstes in das unheimliche Clownsgesicht hatte blicken wollen, wenn ich aus meinem Sarg auferstand.
    Mercutio reichte mir jetzt den Rucksack, den er geschultert hatte und mit dem die ansonsten nur mit einem windelartig gewickelten Tuch bedeckte Putte ein wenig lächerlich aussah. Ich schnürte ihn auf und fand darin zuoberst eine Menge Geldscheine.
    «Du bist ein Schatz», seufzte ich erleichtert und lugte vorsichtig über die Friedhofsmauer, ehe ich mich darüber schwang und anschließend Mercutio half. Ein Glück kannte ich mich in der Stadt aus und wir mussten nicht weit bis zu einem unscheinbaren Hotel in der Nähe laufen. Meine Schritte wurden jetzt wieder sicherer und ich klopfte mir den Dreck so gut es ging von dem Kleid ab. Ich hatte dieses hellblaue Teil nur ein einziges Mal angehabt auf dem Sommerfest in Hannover, weil meine Mutter es mir geschenkt hatte, um mir eine Freude zu machen. Es war ein wirklich hübsches Kleid, auch wenn ich es wohl ziemlich ruiniert hatte mit meinem Aufstieg von den Toten.
    Ich strich mir die Haare zurück, holte tief Luft und betrat das billige Hotel. Das Mädchen hinter dem Tresen wirkte gelangweilt und kaute schmatzend ihren Kaugummi. Sie musterte mich zwar abschätzig, stellte aber keine Fragen, besonders nicht, als sie das Bargeld sah und ich ihr noch einen Schein als Trinkgeld da ließ.
    Als ich im Hotelzimmer war, fühlte ich mich sicherer. Ich verriegelte die Tür von innen und zog die Gardinen vor das dreckige Fenster, ehe ich den Rucksack auf den Kopf stülpte und alles ausschüttete, was sich darin befand. Von den Vitamintabletten und anderen Präparaten nahm ich jeweils eine und spülte sie mit viel Wasser hinunter, damit sich mein Körper wieder normalisierte. Dann griff ich mir die Schere, die Pappverpackung, die sauberen Klamotten und die ganzen Kosmetikartikel und verzog mich damit im Badezimmer. Mercutio hatte offenbar an alles gedacht, aber bei seiner Lebenserfahrung hatte er wahrscheinlich auch schon so einiges miterlebt. Vielleicht sogar etwas, das noch verrückter war, als das hier.
    Ich hatte im Grab gar nicht gemerkt, wie dringend ich eigentlich pinkeln musste und auch dieses Unterfangen schmerzte am Anfang etwas, weil
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