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Schmetterlingsscherben

Schmetterlingsscherben

Titel: Schmetterlingsscherben
Autoren: Esther Hazy
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liebte, aber die Chance war mir nicht gegeben. Die Tür quietschte erneut.
    «Rüdiger?» Die Stimme einer Frau ertönte und ich war mir sicher, dass es Karin war. «Der Bestatter fragt, ob du die Musik aussuchen willst für morgen. Brauchst du noch einen Moment? Ich kann versuchen, ihn noch etwas zu beschäftigen, aber er meinte, er hat noch irgendeinen Termin.» Sie klang mitleidig und liebevoll und ich war froh, dass Paps jemanden gefunden hatte, der sich um ihn kümmerte und mit dem er vielleicht auch ein neues Leben anfangen konnte. Ich hoffte bloß, dass auch mir die Chance dafür nicht verwehrt blieb.
    «Nein, ich komme.» Er seufzte tief. «Ich weiß, dass du jetzt bei Michaela bist und sie gut auf dich aufpassen wird. Mach‘s gut, mein kleines Mäuschen.»
    Die Tür ging erneut auf und wieder zu und erneut wurde es still um mich herum.
    «Louise?» Die Stimme, die jetzt an mein Ohr drang, war leise und hell und der Lufthauch, der dazu mein Ohr berührte, ließ mich wissen, dass Ramona genau daneben saß. «Kannst du mich hören? Ich bin jetzt hier!»
    Ich vernahm das Surren ihrer kleinen Flügel und anschließend spürte ich etwas Kaltes, Nasses auf meinen Lippen. Es war nur gut ein Fingerhut voll, aber mehr konnte der kleine Engel vermutlich unmöglich tragen. Sie flog zigmal hin und her, um mir irgendwie ein wenig Wasser zukommen zu lassen und ganz allmählich rann ein wenig davon meine Kehle hinunter.
    Ich war heilfroh, dass Ramona hier war und mir half, so gut sie nur konnte. Das Brennen in meinem Hals ließ allmählich nach, und nachdem von der Flüssigkeit auch etwas in meinem Magen angekommen war, fühlte ich mich schon deutlich besser.
    Ramona blieb Gott sei Dank bei mir, sang leise für mich ein altes Kinderlied und erzählte mir von dem, was draußen so vorging. Dass es Susanne gut ging und sie und ihre Schwester gemeinsam abgehauen waren. Scheinbar war Charlotte doch noch zur Vernunft gekommen, nachdem Martin einfach die Flucht ergriffen hatte. Und Ramona erzählte mir von Blaze. Er hatte tatsächlich alles versucht, um meinen Tod nicht völlig sinnlos sein zu lassen und die verschiedenen Oppositionen der Paranormalen zusammengeführt, um mit ihnen so etwas wie Verhandlungen zu beginnen. Ich war so unglaublich stolz auf ihn, weil ich wusste, wie viel Überwindung es kostete, überhaupt noch irgendetwas zu machen, wenn man sich so fühlte, wie er es vermutlich gerade tat.
    Mit Ramona an meiner Seite verging die Zeit schneller, aber irgendwann wurde die Tür erneut geöffnet und irgendjemand fing an, mich unsanft aus den Klamotten zu zerren, mich zu waschen und mir neue, saubere Sachen anzuziehen. Ich war bloß froh, dass ich die Augen nicht öffnen konnte, weil mir das Ganze sonst sicherlich noch unangenehmer gewesen wäre, als es das ohnehin schon war.
    Die Tür quietschte abermals und ich wurde hochgehoben und in eine Kiste gelegt. Mein Sarg war erstaunlich bequem, der Stoff fühlte sich weich an auf meinen nackten Armen.
    Irgendjemand kämmte mir nochmal durch das Haar, ehe derjenige den Raum verließ.
    «Ich verschwinde jetzt an deiner Seite», flüsterte Ramona, als ob sie irgendjemand außer mir hier hören könnte. «Das ist übrigens ein wirklich hübsches Kleid, du machst dich ganz gut als Leiche!» Sie kicherte und ich spürte ihre Flügelchen an meinem rechten Arm vorbeistreifen. «Und keine Sorge, ich hab das Mittel aus deiner Hosentasche fischen können, bevor sie die Klamotten weggeschmissen haben. Damit drückte sie mir den Flakon gegen die Finger, vermutlich um mir zu zeigen, dass alles in Ordnung war und wie geplant verlief.
    Der Bestatter kam wieder und schob den schweren Sargdeckel über mich, sodass ich seine Schritte nur noch gedämpft vernehmen konnte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange genau der Sauerstoff in dieser Kiste ausreichen würde und ob ich zuerst verdursten oder ersticken würde, wenn irgendetwas schief lief. Beide Aussichten waren nicht allzu lukrativ, also versuchte ich nicht weiter darüber nachzudenken und konzentrierte mich auf das, was außerhalb der Kiste passierte.
    Sie spielten My Immortal von Evanescence, genau wie bei der Beerdigung von meiner Ma, weil ich damals die Musik hatte aussuchen dürfen. Das hier war mit Abstand das Seltsamste, was ich jemals erlebt hatte. Meine eigene Beerdigung war schön, soweit ich das jedenfalls beurteilen konnte. Ich erkannte die Stimme von Paps und auch die von Karin, selbst den weinerlichen Ton von Dora, die sich von
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