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Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)

Titel: Schmerzliche Heimat: Deutschland und der Mord an meinem Vater (German Edition)
Autoren: Semiya Simsek , Peter Schwarz
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Verfassungsschutz mit der Vernichtung von Abhörprotokollen von Rechtsextremisten beauftragt, weitere derartige Aufträge erteilte das BMI noch im selben Monat sowie im April und Mai 2012. Im Nachhinein begründet das Ministerium dies mit einer «fristgerechten Sammelanordnung für Löschungsfälle nach Ablauf der Speicherfrist», die zeitliche Nähe zur Aufdeckung des NSU sei reiner Zufall gewesen. Dieser Argumentation hat der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, deutlich widersprochen: Denn es gebe, so Schaar, keinerlei gesetzliche Prüffristen für Akten.
    Kurz darauf versprach Innenminister Hans-Peter Friedrich, die Vorgänge, die den Verfassungsschutz immerhin in die schwerste Krise seiner Geschichte manövriert hätten, aufzuklären. Hatte nicht die Kanzlerin bereits Monate zuvor ähnlich nachdrücklich die Aufklärung der Morde versprochen? Diese ständigen Versprechen machen skeptisch. Zudem übergehen Friedrichs Beschwichtigungen geflissentlich, um was für einen gewaltigen Skandal es sich handelt: Gerade in der Aufklärung eines politisch heiklen Falles, der besondere Umsicht verlangt, häufen sich Fehler auf Fehler, die man eben «aufklären» müsse? Wie viel lauter poltert die Politik sonst in weit harmloseren Angelegenheiten? Auch der Verfassungsschutz redet den Skandal mit nebelwerfenden Erklärungen klein. Am 4. Juli 2012 gab er bekannt, das Ende aller Vernichtungsaktionen von rechten Dossiers nun «eigeninitiativ» verfügt zu haben – was der kurz zuvor noch behaupteten «Verpflichtung» zum fristgerechten Schreddern bizarr widerspricht. Auch die versprochene Einrichtung einer zentralen Neonazidatei, auf die alle Behörden Zugriff haben, scheint reiner Aktionismus. Denn es ist, so Peter Schaar, kaum vorstellbar, dass wichtige Informationen deshalb nicht weitergegeben werden, weil der Verfassungsschutz die E-Mail-Adresse der Polizei nicht kennt.
    Im August 2012 folgte die nächste schockierende Enthüllung: Zwei baden-württembergische Polizeibeamte gehörten eine Zeitlang einer deutschen Untergruppe des berüchtigten, aus den USA stammenden Rassistengeheimbunds Ku-Klux-Klan an. 2004 wurden milde Disziplinarmaßnahmen gegen sie verhängt, im Dienst sind beide bis heute. Ein vom baden-württembergischen Innenminister Reinhold Gall in Auftrag gegebener Bericht – der feststellte, dass die beiden rechtlich nicht mehr belangt werden können – sollte einen Schlussstrich unter die peinlichen Verwicklungen ziehen. Davon kann schon längst keine Rede mehr sein, denn inzwischen kam ans Licht, dass ein anderer Polizist den Schwäbisch-Haller Ku-Klux-Klan-Anführer informiert haben soll, dass der Verfassungsschutz dessen Telefon überwachte. Der bestallte Verfassungsschützer beging also Geheimnisverrat, für den er in eine andere Behörde versetzt wurde. Damit nicht genug: Der Gewarnte, ein Skinhead-Musiker und NPD-Sympathisant, hat möglicherweise selbst als V-Mann für den Verfassungsschutz gearbeitet. Überdies waren beide Polizisten Kollegen von Michèle Kiesewetter, der 2007 in Heilbronn von den NSU-Terroristen Böhnhardt und Mundlos mutmaßlich ermordeten Polizistin, einer der Männer war sogar ihr Gruppenführer. Für eine Verbindung zwischen der Tat und dem Klan hat die Bundesanwaltschaft zwar keinen Hinweis, allerdings sollen auch in diesem Fall beim Verfassungsschutz Akten geschreddert worden sein, nämlich Unterlagen der Ku-Klux-Klan-Abhöraktion. Dies geschah offenbar nach dem Auffliegen des NSU, wiederum angeblich nur routinemäßig.
    Die Liste der Merkwürdigkeiten ließe sich weiter fortsetzen. Da wäre etwa die mangelhafte Zusammenarbeit einzelner Behörden mit dem Untersuchungsausschuss des Bundestages. Oder jene Akte über eine Befragung von Uwe Mundlos während seines Militärdienstes, von der auch der Verteidigungsminister seit März 2012 durch den Militärischen Abschirmdienst wusste – weder Abschirmdienst noch Minister kamen auf die die Idee, den Ausschuss über die Existenz der Akte zu informieren. Oder die unvollständigen Aussagen von Verfassungsschützern vor dem Ausschuss, bei denen diese sich auf den Staatswohlgedanken des Grundgesetzes beriefen und sogar bereits offengelegte Dokumente noch nachträglich geschwärzt sehen wollten. Das sind nur die krassen Fälle, wer weiß, was wir noch alles erfahren werden.

    Aber wie kann es bloß angehen, dass die staatlichen Stellen, die seit Jahren Fehler gemacht haben, nun bei der Aufklärung dieser Fehler wieder
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