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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende
Autoren: Val McDermid
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Natur ihr geschenkt hatte: ihre aufregenden Augen. Die dunkelblauen Iris waren von rätselhaften Riefen durchzogen, in denen das Licht sich brach wie in den Facetten eines Saphirs. Augen mit dem gewissen Etwas. Manchmal beschlich Shaz der Verdacht, ihr früherer Chef habe sich unter ihrem durchdringenden Blick so unbehaglich gefühlt, daß er trotz ihrer beachtlichen Erfolge bei Festnahmen und Verhören froh gewesen war, sie loszuwerden.
    Ihrem neuen Chef war sie erst einmal begegnet. Irgendwie kam ihr Tony Hill nicht vor wie jemand, der sich leicht durch Augen einschüchtern ließ, wie blau sie auch waren. Und wer weiß, was er alles hinter dem Tarnschleier dieser blauen Augen ausmachte. Eine bange Vorahnung kroch ihr über den Rücken, sie wandte sich schnell vom Spiegel ab.
     
    Detective Chief Inspector Carol Jordan zog das Original aus dem Fotokopierer, nahm die Kopie aus der Auswurfschale, durchquerte energischen Schritts das Großraumbüro der Kriminalabteilung und rief den beiden Detectives, die bereits an ihren Schreibtischen saßen, ein lässiges »’n Morgen, Jungs« zu. Notorische Frühaufsteher. Oder, was sie für wahrscheinlicher hielt, zwei, die bei ihr Eindruck schinden wollten. Arme Teufel.
    Sie schloß die Tür, setzte sich an den Schreibtisch, heftete das Original in den Sammelordner mit Meldungen über Vorkommnisse während der Nacht und legte ihn in den Ausgangskorb. Die Kopie heftete sie in einem anderen Ordner ab, der schon vier ähnliche Meldungen enthielt und den sie ständig in ihrer Aktenmappe aufbewahrte. Fünf, entschied sie, waren die kritische Größe. Zeit, etwas zu unternehmen. Aber nicht hier und jetzt.
    Das einzige Stück Papier, das sonst noch auf ihrem Schreibtisch lag, war ein langatmiges Memo des Innenministeriums, durch das in geschraubtem Behördenenglisch die Einsetzung der »National Offender Profiling Task Force ( NOP Task Force)« bekanntgegeben wurde. »… ist dienstrechtlich Commander Paul Bishop unterstellt und wird fachlich von dem Psychologen und Profiler Dr. Tony Hill geleitet.« Dann folgten Festlegungen zu Detailfragen, angefangen von der disziplinarrechtlichen Zuständigkeit bis zur Zahlung von Bezügen.
    Carol seufzte. »Eine von denen hätte ich sein können, o ja.«, murmelte sie in sich hinein. Nicht, daß sie offiziell aufgefordert worden war, aber ein Wort von ihr hätte genügt. Tony wollte sie in seiner Gruppe haben. Er hatte ihre Arbeit aus der Nähe miterlebt und ihr mehr als einmal versichert, sie sei genau aus dem richtigen Holz geschnitzt, um in seiner neuen Profilergruppe für Effektivität zu sorgen. Aber so einfach war das Ganze nicht. Das eine Mal, bei dem sie gemeinsam einen Fall bearbeitet hatten, war für sie beide zermürbend und persönlich belastend gewesen. Die Gefühle, die sie für Tony Hill hegte, waren immer noch zu verworren, als daß sie sich uneingeschränkt für die Idee erwärmen konnte, seine rechte Hand zu werden. Zumal die Fälle, die dann auf sie zukamen, mit Sicherheit wieder zu einer ebenso starken emotionalen Belastung und intellektuellen Herausforderung geführt hätten wie beim ersten Mal.
    Trotzdem, es war eine Versuchung gewesen. Doch dann war ihr das Angebot dazwischengekommen, die Leitung der Kriminalpolizei in einer neuen Dienststelle in Yorkshire zu übernehmen. So eine Chance konnte sie sich auf keinen Fall entgehen lassen. Wobei die Ironie darin lag, daß sie auch dieses Angebot im Grunde der Zusammenarbeit mit Tony Hill verdankte. John Brandon war während ihrer Jagd auf den Serienmörder Assistant Chief Constable in Bradfield gewesen, und nach seiner Ernennung zum Chief Constable der neuen Dienststelle hatte er sie unbedingt in seiner Crew haben wollen. Sein Timing hätte nicht besser sein können, dachte sie, obwohl sie sich andererseits eines leichten Bedauerns nicht erwehren konnte. Sie stand auf und ging die wenigen Schritte, die sie in ihrem kleinen Büro vom Fenster trennten, stand da und starrte auf die tief unter ihr liegenden Hafenanlagen, in denen rastlos hin und her hastende, zwergenhaft kleine Gestalten weiß Gott welchen Geschäften nachgingen.
    Carol hatte ihr Handwerk zuerst bei der Londoner Met und danach bei der Bradfield Metropolitan Police erlernt – beides Mammutdienststellen, in denen die Großstadtkriminalität den Adrenalinspiegel der Mitarbeiter ständig bis dicht unter den Siedepunkt aufheizte. Jetzt, bei der East Yorkshire Police, war sie in der Beschaulichkeit der Provinz
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