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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende
Autoren: Val McDermid
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Teppichen und vor Schmutz starrenden Waschbecken, gefolgt von spartanischen Unterkünften in der Polizeischule und ihrem letzten Domizil, einer schäbigen, sündhaft teuren Schlafkammer in Londons Westen, war sie neugierig geworden, ob ihr der Begriff Wohnkultur überhaupt noch etwas bedeutete. Und nun bot ihr der Umzug nach Nordengland endlich die langersehnte Gelegenheit, das herauszufinden. Leider erwies sich die Idylle schon am ersten Morgen als trügerisch.
    Sie war, weil sie früh zur Arbeit mußte, noch halb verschlafen, mit trüben Augen aus dem Bett gekrochen, hatte die Dusche laufen lassen, bis die Temperatur stimmte, und in der Vorfreude auf ein mollig warmes Duschbad den Vorhang hinter sich zugezogen. Doch schon nach wenigen Sekunden verwandelte sich der bis dahin angenehm warm sprudelnde Wasserstrahl in ein stotterndes, zudem siedend heißes Geplätscher, so daß sie schleunigst Reißaus nahm. Sie rutschte auf den Fliesen aus, verrenkte sich das Knie, stieß sämtliche in drei Jahren bei der Metropolitan Police gelernten Flüche aus und starrte fassungslos auf den Dampf, der genau da aufstieg, wo sie eben noch gestanden hatte.
    Kurz darauf war der Dampf verschwunden, die Temperatur fühlte sich auf wundersame Weise wieder normal an. Zweiter Versuch. Zögernd, mit angehaltenem Atem griff sie nach dem Shampoo. Als sie sich jedoch gerade eingeseift und Schaum ins Haar gerieben hatte, prasselte aus dem Duschkopf urplötzlich ein winterlicher Eisregen auf sie nieder. Unglücklicherweise reagierte sie auch diesmal falsch, und mit der scharf eingesogenen Luft schluckte sie so viel Seifenschaum, daß sie eine Weile damit beschäftigt war, gegen den drohenden Erstickungstod anzuhusten.
    Als Detective kam sie rasch dahinter, daß sie den morgendlichen Leidensweg handwerklicher Schlamperei verdankte. Diese Erkenntnis der ursächlichen Zusammenhänge vermittelte ihr allerdings kein ausgeprägtes Glücksgefühl. Statt den ersten Tag in der neuen Umgebung ruhig und durch ein Duschbad entspannt anzutreten, war sie ein wütendes, frustriertes Nervenbündel. Die verspannte Nackenmuskulatur war ein unverkennbarer Vorbote langanhaltender Kopfschmerzen. »Großartig«, grollte sie vor sich hin und kämpfte gegen die Tränen an, die wohl eher auf ihre aufgewühlten Emotionen zurückzuführen waren als auf das Shampoo, das ihr in die Augen gelaufen war.
    Shaz kletterte mutig zurück in die Wanne, stellte mit einem energischen Ruck die Dusche ab und drehte statt dessen den Hahn für das Badewasser auf. An einen ruhig und entspannt begonnenen Tag war nicht mehr zu denken, aber sie mußte sich ja wenigstens das Shampoo aus den Haaren waschen, wenn sie am ersten Arbeitstag nicht wie ein gerupftes Huhn aussehen wollte.
    Als sie in der Wanne kauerte und den Kopf ins Wasser tauchte, versuchte sie, etwas von ihrer positiven Einstellung zurückzugewinnen. »Mädchen, du kannst von Glück sagen, daß du hier bist«, redete sie sich zu. »Alle, die was zu sagen hatten, waren einverstanden. Du hast nicht mal irgendwelche Testbögen ausfüllen müssen. Allgemeines Kopfnicken, und schon gehörst du zur handverlesenen Elite. Jetzt zahlt sich’s aus, daß du alles mit verbissenem Lächeln geschluckt hast. Sollen die Flegel, die ständig auf dir rumtrampeln wollten, doch zusehen, wo sie bleiben. Dahin, wo du jetzt bist, schaffen die’s so schnell nicht. Was verstehen die schon von der Erarbeitung von Täterprofilen?« Wobei noch hinzukam, daß sie unter dem absoluten Spitzenprofiler arbeiten würde – Dr. Tony Hill, Examen in London, promoviert in Oxford, Verfasser einer als
das
britische Standardwerk geltenden Studie über Serientäter. Hätte Shaz zur Heldenverehrung geneigt, wäre diesem Tony Hill eine Ehrenloge im Pantheon ihrer persönlichen Halbgötter sicher gewesen. Kein Opfer wäre ihr zu groß gewesen für die Chance, sein methodisches Denken zu studieren und sich seine Tricks und Kniffe abzugucken. Aber sie mußte gar kein Opfer bringen. Die Chance war ihr einfach in den Schoß gefallen.
    Als sie sich das Haar gefönt und zurechtgebauscht hatte, war ihr Ärger so gut wie verflogen, nur ihre Nerven flatterten noch ein wenig. Sie sah in den Spiegel, versuchte, die Sommersprossen auf ihren Wangen zu ignorieren, nicht darauf zu achten, daß ihre Nase zu zierlich geraten war, so zu tun, als sähe sie nicht, daß ihre Lippen zu streng aussahen, um sinnlich zu wirken, und sich ganz auf das eine Schmuckstück zu konzentrieren, das die
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