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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende
Autoren: Val McDermid
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angekommen, was ihren Bruder Michael zu dem spöttischen Kommentar veranlaßte, in Yorkshire genüge es vollauf, wenn Polizisten beim Büroschlaf ein Auge offenhielten. Mit raffinierten Mördern, aus fahrenden Autos feuernden Maschinenpistolen, Bandenkriegen, bewaffneten Raubüberfällen und Drogenhandel im großen Stil mußte sich die Seaforder Kripo bestimmt nicht herumschlagen.
    Nicht, daß es in den Kleinstädten und Dörfern von East Yorkshire keine Kriminalität gegeben hätte, aber das spielte sich alles auf einem so niedrigen Level ab, daß ihre Mitarbeiter ohne weiteres damit fertig wurden, sogar in mittelgroßen Orten wie Holm, Traskham oder in ihrem neuen Dienstort, dem Nordseehafen Seaford. Die jungen Officer mochten es nicht sonderlich, wenn Carol sie an die kurze Leine nahm. Mein Gott, was wußte ein Großstadtmädchen wie sie schon von Viehdiebstählen im Schafzüchterland oder von gefälschten Ladepapieren? Außerdem ahnten alle, daß sie einstweilen hinlänglich damit beschäftigt war, die Spreu vom Weizen zu trennen, also herauszufinden, wer nur eine große Klappe hatte und laut herumposaunte und bei wem wirklich Substanz dahintersteckte. Und sie hatten recht. Es dauerte länger, als sie erwartet hatte, aber allmählich zeichnete sich ein ziemlich klares Bild davon ab, auf wen sie in ihrem Team bauen konnte.
    Carol seufzte noch einmal und fuhr sich mit der Hand durchs zerzauste blonde Haar. Ein verdammt hartes Stück Arbeit, nicht zuletzt deshalb, weil die rauhbeinigen Yorkshireburschen, mit denen sie’s zu tun hatte, sich von einer Frau nur zähneknirschend sagen ließen, wo es langging. Was sie dazu führte, sich – nicht zum ersten Mal – zu fragen, ob sie nicht aus Ehrgeiz eine vielversprechende Karriere aufgegeben hatte und nun in einer Sackgasse gelandet war.
    Sie wandte sich achselzuckend um und nahm den Ordner mit den Kopien der nächtlichen besonderen Vorkommnisse aus ihrer Aktenmappe. Auch wenn sie sich gegen eine Mitarbeit in Tonys Profilergruppe entschieden hatte, die Gelegenheit, bei ihm den einen oder anderen neuen Trick zu lernen, wollte sie sich nicht entgehen lassen. Sie wußte, woran man die Handschrift eines Serientäters erkannte, und konnte nur hoffen, daß sie es hier nicht mit einem zu tun hatte und plötzlich nichts dringender brauchte als ein Team von Spezialisten, um ihn zur Strecke zu bringen.
     
    Die Doppeltüren schwangen dicht vor dem Gesicht auf, das – laut letzter Zuschauerumfrage – in achtundsiebzig Prozent aller britischen Wohnzimmer auf Anhieb erkannt worden wäre. »… habe ich doch überhaupt nichts zu tun«, sagte die Frau, zu der das Gesicht gehörte, zu Betsy Thorne, die einen halben Schritt hinter ihr folgte. »Sag also Trevor, daß er gefälligst die Einstellungen zwei und vier im Drehplan austauschen soll, okay?« Und damit stöckelte sie auf hochhackigen Pumps und Beinen, die ihr glatt einen Werbevertrag für Pantyhöschen eingebracht hätten, ins Allerheiligste der Maskenbildnerin.
    Betsy nickte gelassen. Mit dem Fernsehen hätte sie wohl niemand in Verbindung gebracht, dafür sah sie zu bieder aus. Dunkles, hier und dort von Silbersträhnen durchzogenes Haar, blaues Stirnband und darunter ein Gesicht, das die Summe all dessen zu sein schien, was man gemeinhin mit dem Begriff »englisch« verbindet: die klugen Augen eines Schäferhunds, den Knochenbau eines hochgezüchteten Rassepferds und eine Apfelhaut à la Cox’ Orange. »Kein Problem«, behauptete sie und machte sich eine Notiz auf ihrem Klemmbrett.
    Micky Morgan, Moderatorin und Star des zum unangefochtenen Quotenrenner eines Privatsenders aufgestiegenen Mittagsmagazins
Morgan am Mittag
, ging zielstrebig auf ihren angestammten Sessel zu, setzte sich, strich das honigblonde Haar zurück und unterzog ihr Äußeres einer letzten kritischen Prüfung im Spiegel, als Marla, die ungekrönte Königin der Maske, auftauchte, um ihr den Schutzumhang umzulegen.
    »Marla, du bist wieder da!« rief sie entzückt aus. »Gott sei Dank. Ich habe gebetet, daß du außer Landes wärst und nicht sehen konntest, was sie mir angetan haben, solange du nicht dagewesen warst. Ich verbiete dir strikt, je wieder in Urlaub zu fahren.«
    Marla lächelte. »Immer noch der alte Nonsens.«
    Betsy, die sich neben dem Spiegel auf den Schminktisch geschwungen hatte, sagte trocken: »Dafür wird sie ja bezahlt.«
    »Ich komm zur Zeit einfach nicht an die Jungs von der Redaktion ran«, beklagte sich Micky. Sie mußte es
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