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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende
Autoren: Val McDermid
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Menschen sind ihrer Natur nach gesellig. Wir sind Herdentiere. Wir jagen im Rudel und feiern im Rudel. Nehmen Sie jemandem jeglichen menschlichen Kontakt, und sein ganzes Verhalten wird sich schlagartig verändern. Sie werden in den kommenden Monaten und Jahren in diesem Punkt eine Menge Erfahrungen sammeln.« Sie hingen wie gebannt an seinen Lippen. Zeit für den Schlag in die Magengrube.
    »Ich rede nicht von Serientätern, sondern von Ihnen. Sie alle sind Officer mit Erfahrung in kriminalpolizeilicher Arbeit, an Teamarbeit, Kameradschaft und Rückendeckung durch das System gewöhnt, und daran, gemeinsam Erfolge zu feiern und sich gegenseitig Trost zu spenden, wenn’s mal kein Erfolg war. Vergleichbar einer großen Familie, nur ohne den großen Bruder, der dauernd auf einem herumhackt, und ohne Tanten, die ständig fragen, wann man endlich heiraten will.« Alle nickten, die Frauen etwas zögernder als die Männer.
    Er machte eine kleine Pause, dann beugte er sich vor. »Hiermit spreche ich Ihnen mein Beileid aus. Das alles haben Sie nun verloren. Die große Familie ist tot, Sie können nie, nie wieder nach Hause gehen. Das hier – das ist von jetzt an Ihre Familie und das einzige Zuhause, das Sie haben.«
    Und dann erklärte er ihnen, warum das so war.
    »Ihr Leben wird sich sehr bald von Grund auf verändern. Ihre Prioritäten geraten ins Wackeln wie Los Angeles bei einem Erdbeben. Wenn Sie sich ständig in ein fremdes, auf Mord programmiertes Gehirn hineindenken müssen, werden Sie sehr bald feststellen, daß Dinge, die Sie bisher für wichtig gehalten haben, auf einmal völlig irrelevant geworden sind. Wer so was noch nie erlebt hat, kann sich kein Bild davon machen, wie das ist. Sie zermartern sich pausenlos das Gehirn nach dem einen Hinweis, den Sie bisher übersehen haben. O ja, es gibt einen Zeugen, der den Mörder gesehen hat. Nur, der kann sich an nichts erinnern. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß einer der Jungs, die nachts an derselben Tankstelle wie er gehalten haben, einen Mord begehen wird? Sie können diesen Zeugen an den Schultern packen und durchschütteln, sooft Sie wollen, er spuckt nichts aus. Dafür ist der Detective, der Ihre Arbeit sowieso für den letzten Unsinn hält, um so redseliger. Er sieht überhaupt nicht ein, warum Sie’s leichter haben sollen als er. Also gibt er Ehefrauen, Lovern, Eltern, Kindern und Neffen Ihre Telefonnummer, und die rufen dann verzweifelt bei Ihnen an, weil sie irgendeinen Hoffnungsfunken brauchen. Und als wäre das nicht genug, sitzen Ihnen auch noch die Medien im Genick. Und dann schlägt der Mörder wieder zu.«
    Leon Jackson, der es geschafft hatte, sich aus dem Liverpooler Schwarzenghetto über ein Oxford Stipendium zur Londoner Met hochzuarbeiten, zündete sich eine Zigarette an, hängte den Arm über die Stuhllehne und murmelte: »Hört sich cool an.«
    »Eiskalt«, sagte Tony. »Das war also ein knapper Exkurs darüber, wie andere Ihren Job sehen. Und was ist mit Ihren ehemaligen Kollegen? Nun, die werden vor allem feststellen, daß Sie ein komischer Vogel geworden sind. Sie gehören nicht mehr zur alten Crew, Sie haben den Stallgeruch verloren, also werden sie Sie links liegenlassen. Wenn Sie dann bei der Bearbeitung eines Falles mit ihnen zu tun haben, prallen Sie auf eine Mauer der Ablehnung. Verlassen Sie sich drauf, die alten Kollegen wollen nichts mehr mit Ihnen zu tun haben und haben nicht die geringste Scheu, Sie das spüren zu lassen.«
    Daß Leon skeptisch grinste, erklärte Tony sich damit, daß er als Schwarzer daran gewöhnt war, von einigen Kollegen geschnitten zu werden. Was er dabei wahrscheinlich nicht bedachte, war, daß seine Vorgesetzten unbedingt eine schwarze Erfolgsstory von ihm erwarteten.
    »Und noch etwas«, fuhr Tony fort, »glauben Sie ja nicht, daß Ihr Boß Ihnen den Rücken stärkt, wenn es Scheiße regnet. Entweder haben Sie Erfolg, oder Sie sind unten durch. Ohne vorzeigbaren Erfolg machen alle einen großen Bogen um Sie, weil Sie an einer ansteckenden Krankheit leiden, die Mißerfolg heißt. Egal, wie nahe Sie der Wahrheit sind, solange Sie sie nicht beweisen können, sind Sie ein Aussätziger. Ach ja – und übrigens«, fügte er hinzu, als wäre ihm das gerade erst eingefallen, »falls der Mistkerl, hinter dem Sie her waren, dank Ihrer Arbeit überführt wird … Sie werden nicht zur Erfolgsparty eingeladen.«
    Die Stille war so lähmend, daß man das Knistern des brennenden Tabaks hören konnte, als Leon
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