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Schlussblende

Schlussblende

Titel: Schlussblende
Autoren: Val McDermid
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gestellt hatte, war die Forderung, einen Mann an die Spitze zu berufen, der genau wußte, welche Bürde er sich auflud. Paul Bishop war auch für die politisch Verantwortlichen kein unbeschriebenes Blatt, schließlich hatte er mit dem Bahncard-Vergewaltiger und dem Metroland-Killer zwei der meistgesuchten Verbrecher zur Strecke gebracht und sich damit selbst bei den hartgesottensten schweren Jungs der Londoner Unterwelt Respekt verschafft. Für Tony stand es außer Frage, daß ein Mann wie Bishop wußte, welche Horrorszenarien ihn erwarteten. Einziger Lohn dafür war das Wissen, durch beharrliches Bemühen Massenmörder hinter Schloß und Riegel gebracht und so Menschen das Leben gerettet zu haben.
    Paul Bishop begrüßte die Detectives und erläuterte ihnen das Ausbildungsprogramm. »Wir werden Ihnen die Methodik bei der Erarbeitung von Täterprofilen vermitteln, so daß Sie sich, darauf aufbauend, selbst die für Sie zweckmäßige Vorgehensweise erarbeiten können.« Das Ganze lief auf einen Crashkurs in Psychologie hinaus, der sich natürlich auf Grundkenntnisse beschränken mußte. Aber wer das Zeug zu einem echten Profiler hatte, würde bald herausfinden, welche Art des methodischen Vorgehens ihm am meisten lag, und vor allem, auf welches Teilgebiet der Erarbeitung von Täterprofilen er sich spezialisieren wollte.
    Wieder sah Tony sich seine neuen Kollegen der Reihe nach an. Alle hatten Erfahrung als Ermittler und alle – bis auf einen – ein abgeschlossenes Studium. Ein Sergeant und fünf Constables, zwei davon Frauen, eine geballte Ladung Fachwissen und Lebensklugheit. Und sie wußten, daß ihnen, wenn sie bei ihrer Arbeit Erfolg hatten, der Weg bis ganz nach oben offenstand.
    Irgendwie hätte er sich gewünscht, daß Carol Jordan dabeigewesen wäre. Andererseits wußte er, daß auch ohne diese zusätzliche Komplikation genügend Probleme auf sie zukamen. Hätte er eine Wette eingehen müssen, wer sich zum Star der kleinen Gruppe mausern würde, dann wäre die junge Frau mit dem kalten Feuer im Blick sein heißester Tip gewesen. Sharon Bowman. So eine war imstande zu töten, wenn ihr keine andere Wahl blieb.
    Wie alle guten Jäger. Und wie er’s selbst getan hatte.
    Paul Bishop war fertig, er gab Tony das Zeichen, daß er dran wäre. Tony lehnte sich demonstrativ entspannt zurück. »Das FBI «, begann er, »veranschlagt zwei Jahre für die Schulung seiner Profiler. Wir sind da bescheidener.« Seine Stimme wurde ätzend. »Wir lassen uns in drei Wochen die ersten Fälle aufs Auge drücken, und nach drei Monaten Schonfrist erwartet das Innenministerium von uns, daß wir voll im Geschäft sind. Was Sie bis dahin zu bewältigen haben, läßt sich so zusammenfassen: Verdauen Sie einen Wust von Theorie, lernen Sie eine Wagenladung Regeln und Vorschriften auswendig, machen Sie sich mit dem eigens für unsere Arbeit entwickelten Softwareprogramm vertraut, und entwickeln Sie einen Riecher für Mitmenschen, die – wie wir das in Fachkreisen nennen – total durchgeknallt sind.« Sein Grinsen kam für die Detectives, die mit ernsten Mienen vor ihm saßen, offensichtlich etwas überraschend. »Irgendwelche Fragen?«
    »Kann man noch abspringen?« Die Bowman – scheinbar todernst, aber in ihren lebhaften Augen funkelte hintergründiger Humor.
    »Die akzeptieren hier nur einen Kündigungsgrund, und der muß von einem Pathologen bestätigt werden«, warf Simon McNeill ein. Psychologieexamen in Glasgow, vier Dienstjahre bei der Polizei in Strathclyde, rekapitulierte Tony und stellte zufrieden fest, daß er sich solche Dinge immer noch mühelos merken konnte.
    »Vollkommen richtig«, sagte er.
    »Und im Krankheitsfall?« fragte ein anderer aus der Gruppe.
    »Viel zu durchsichtig, als daß wir uns darauf einlassen würden«, ließ Tony ihn wissen. »Aber ich bin froh, daß Sie das angeschnitten haben, Sharon. Das gibt mir quasi das Stichwort für die Dinge, über die ich zuerst mit Ihnen sprechen will.« Wieder sah er sie der Reihe nach an, bis sich der Ernst seines Tonfalls in ihren Gesichtern widerspiegelte. Es verblüffte ihn immer noch, wie leicht sich gestandene Detectives manipulieren ließen. Aber er ahnte, daß das in ein paar Monaten ganz anders aussehen würde, sonst hatte er irgend etwas falsch gemacht.
    Er schlug den Ordner mit handschriftlichen Notizen auf, und als er zu dozieren anfing, hörte sich das eher wie lautes Nachdenken an. »Isolierung. Entfremdung. Verdammt hart, damit fertig zu werden.
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